Zehnt – der Steuerblog

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Rechtsfolgen der Einstufung als „Jahreszahler“ für den Vorwurf der USt-Hinterziehung  – der BGH klärt grundlegende Rechtfragen

In der Praxis begegnet man als Steueranwalt immer wieder Gesellschaften, die wegen niedriger Umsätze (bei einer Jahreszahllast von maximal 1.000 EUR) entweder auf Antrag oder von Amts wegen als sog. „Jahreszahler“ eingestuft werden. Dh. für sie wird gemäß § 18 Abs. 2 Satz 3 UStG die Verpflichtung zur Abgabe von USt-Voranmeldungen (UStVA) aufgehoben. Es stellt sich dann die spannende Frage, was passiert, wenn diese Gesellschaften als sog. „Missing-Trader“ in Umsatzsteuerbetrugsketten eingebunden werden und umfangreiche Leistungen erbringen (oder auch nur entsprechende Rechnungen ausstellen), ohne für die daraus entstehenden Steueransprüche UStVA abzugeben. Kommt hier bereits unterjährig der Vorwurf der Steuerhinterziehung durch Unterlassen in Betracht oder lassen sich Vorwürfe erst erheben, wenn die Frist zur Abgabe der Jahreserklärung verstrichen ist und keine (zutreffende) Erklärung nach § 18 Abs. 3 UStG beim Finanzamt eingereicht wurde?

Der 1. Strafsenat hat sich in einem Beschluss vom 22.3.2023 (Az. 1 StR 440/22) grundlegend mit diesen Fragen auseinandergesetzt. Dort ging es um einen Fall, in dem nach Überzeugung des Landgerichts der Antrag auf Befreiung bereits „bösgläubig“ beim Finanzamt eingereicht und die Gesellschaft daraufhin als „Jahreszahler“ eingestuft worden war. Das Landgericht Hamburg hatte den Antrag als rechtsmissbräuchlich eingestuft und den Geschäftsführer vor diesem Hintergrund wegen Steuerhinterziehung durch Nicht-Abgabe der UStVA verurteilt. Der BGH trat dem (mit Unterstützung des Generalbundesanwalts) entgegen: Das Gesetz sei verwaltungsakzessorisch auszulegen. Die Befreiung sei als Verwaltungsakt wirksam, selbst wenn sie durch Täuschung veranlasst worden sei. Die Verurteilung wurde aufgehoben.

Allerdings ist dies nicht das letzte Wort gewesen, denn der BGH hat das Verfahren an das Landgericht zurückverwiesen, um zu prüfen, mit welchem genauen Inhalt die Einstufung als „Jahreszahler“ bekannt gegeben worden war. In der Praxis kommt es vor, dass die Befreiung von der Verpflichtung zur Abgabe von UStVA mit der Auflage versehen wird, dem Finanzamt Mitteilung darüber zu machen, wenn die Umsatzentwicklung sich ändert. Dies stand wohl auch dem BGH vor Augen, er gab dem Landgericht auf, zu prüfen, ob eventuell Nebenbestimmungen im Sinne von § 120 AO vorgelegen haben, die dem Fall ein anderes Gepräge geben könnten.

Dessen ungeachtet bringt die Entscheidung für das Umsatzsteuer-Verfahrensrecht in einem wichtigen Punkt Klarheit, indem sie (implizit) bestätigt, dass die einmal ausgesprochene Befreiung von der Verpflichtung zur Abgabe von UStVA nicht automatisch wegfällt, wenn der Umfang der Geschäftstätigkeit ansteigt. Es bedarf eines Widerrufs oder einer begrenzenden Nebenbestimmung, um die Einordnung als „Jahreszahler“ wieder rückgängig zu machen. (Die Regelungen aus § 18 Abs. 2 Satz 4 und 5 UStG waren im konkreten Fall nicht einschlägig, sie dürften richtigerweise aber auch nur die Dauer des Voranmeldungszeitraums beeinflussen und nicht den Regelungsinhalt der Befreiung beseitigen.)

Neben diesen steuerlichen Zusammenhängen hält die Entscheidung im Übrigen auch noch weiterführende steuerstrafrechtliche „Schmankerl“ bereit. So fasst der Senat seine Vorgaben zu den Auswirkungen der Selbstbelastungsfreiheit („nemo tenetur“) im Steuerstrafrecht anschaulich zusammen – dies könnte Verteidiger interessieren, die in vergleichbaren Fällen mit einem Wegfall der Erklärungspflicht oder (zumindest) einem strafrechtlichen Verwertungsverbot argumentieren wollen (zur vorhergehenden Rspr. des Senats vgl. nur Schmitz/Wulf in MüKo-StGB, 4. Auflage 2023, § 370 AO Rz. 385 ff.). Der letzte Satz der Entscheidungsgründe dürfte hingegen eher Strafverfolger neugierig machen, denn dort stellt der Senat die Überlegung in den Raum, ob nicht vielleicht die „Erschleichung“ der Einstufung als Jahreszahler bereits für sich den Tatbestand der Steuerhinterziehung in der Variante der Vorteilserlangung erfüllen könnte – was letztlich von der Frage abhängt, was unter einem „Steuervorteil“ iSv. § 370 Abs. 4 Satz 2 AO zu verstehen ist. 

Mithin ist in dieser lesenswerten Entscheidung für jeden etwas dabei…

Dr. Martin Wulf
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht
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