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Unbefristetes Antragsrecht für Sanierungserträge in Altfällen?

Der IV. Senat des Bundesfinanzhofs hat in zwei parallel veröffentlichten Urteilen (BFH vom 10.10.2024 IV R 1/22 und IV R 2/22) zu Verfahrensfragen bei der Feststellung von Sanierungserträgen nach § 3a EStG und § 7b GewStG entschieden. 
 
Hintergrund sind die nach der Unwirksamkeit des Sanierungserlasses samt dessen Billigkeitsregelungen (BMF 27.3.2003, BStBl. I 2003, 240; aufgrund eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verworfen, BFH vom 28.11.2016 GrS 1/15, BStBl. II 2017, 393) eingeführten Regelungen des nach § 3a EStG steuerfreien Sanierungsgewinns. Diese gilt nur für Schuldenerlasse nach dem 8.2.2017. Auf Antrag ist diese Neuregelung nach § 52 Abs. 4a Satz 4 EStG auch auf Altfälle vor Einführung der Neuregelung anzuwenden. Gleiches gilt nach § 36 Abs. 2c Satz 3 GewStG (aF) für die Steuerbefreiung von Gewerbeerträgen gemäß § 7b GewStG iVm. § 3a EStG.
 
Die Revisionsklägerin war der Auffassung, dass die von ihr gestellten Anträge jeweils ein rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO darstellten. Diese führten mit ihrer Antragstellung gemäß § 175 Abs. 1 Satz 2 AO zu einem Neubeginn der Feststellungs- bzw. Festsetzungsfrist. Da die Antragstellung zuvor nicht möglich war, entfaltet die Regelung Rückwirkung.

 

1. Beraterhinweis

Sind Einkünfte aus Gewerbebetrieb nach § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO gesondert festzustellen, ist gemäß § 3a Abs. 4 Satz 1 EStG auch die Höhe des Sanierungsertrags nach § 3a Abs. 1 Satz 1 EStG sowie die Höhe der nach § 3a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 bis 6 und 13 EStG mindernden Beträge gesondert festzustellen. Zuständig für diese gesonderte Feststellung ist nach § 3a Abs. 4 Satz 2 EStG das Finanzamt, das für die gesonderte Feststellung nach § 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO zuständig ist. Dies erfolgt in einem eigenständigen Verwaltungsakt (Feststellungsbescheid nach § 3a Abs. 4 EStG) und nicht im Gewinnfeststellungsbescheid.
 
Diese Auffassung wurde vom BFH entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung und des Finanzgerichts bestätigt.  
 
Nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis). Diese Regelung findet sowohl im Feststellungsverfahren (§ 181 Abs. 1 Satz 1 AO) als auch sinngemäß bei der Festsetzung von Steuermessbeträgen (§ 184 Abs. 1 Satz 3 AO) Anwendung. Sie findet zudem auch dann Anwendung, wenn der Steuer- oder Feststellungsbescheid, in dem der Vorgang zu berücksichtigen ist, überhaupt noch nicht ergangen und das rückwirkende Ereignis beim erstmaligen Erlass des Steuer- oder Feststellungsbescheids zu berücksichtigen ist. Was unter einem rückwirkenden Ereignis zu verstehen ist, wird im Gesetz nicht näher bestimmt. Ob ein Ereignis ausnahmsweise steuerlich in die Vergangenheit zurückwirkt, richtet sich allein nach den Normen des jeweils einschlägigen materiellen Steuerrechts.
 
Aus Sinn und Zweck des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ergebe sich (nach der ständigen Rechtsprechung des BFH), dass das Ereignis den Sachverhalt verändern und dabei derart in die Vergangenheit zurückwirken müsse, dass ein Bedürfnis bestehe, eine schon endgültige Regelung im Sinne der §§ 118, 157 AO an die Sachverhaltsänderung anzupassen. Eine rückwirkende Änderung steuerrechtlicher Vorschriften sei dazu nicht ausreichend.  Die Stellung eines Antrags könne hingegen ein rückwirkendes Ereignis sein, wenn er nicht nur Verfahrenshandlung oder rein formelle Voraussetzung für die Berücksichtigung eines steuerlich relevanten Sachverhalts, sondern selbst Merkmal des gesetzlichen Tatbestands sei. Nach diesem Maßstab stellen auch die vorgenannten Anträge ein rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO dar. Denn dieser ist selbst Merkmal des gesetzlichen Tatbestands. Die Anwendung des § 3a EStG bzw. des § 7b GewStG auf Altfälle setzt einen Antrag des Steuerpflichtigen erstmals voraus und bilde daher einen Gesamttatbestand. Die rückwirkende Anpassung einer bestandskräftigen Regelung an die infolge des Antrags anzuwendenden Vorschriften des § 3a EStG gewährleistet zudem die vom Gesetzgeber beabsichtigte Gleichbehandlung von Alt- und Neufällen, ohne dass es bei Altfällen zu einer Besserstellung des Steuerpflichtigen kommt.

 

2. Beraterhinweis

Zur Frage der Festsetzungsverjährung für Altfälle hatte der Senat im vorliegenden Fall nicht zu entscheiden und hat hierzu auch nicht Stellung genommen. In der Folge könnte den Steuerpflichtigen für Altfälle ein zeitlich unbefristetes Antragsrecht auf Anwendung des § 3a EStG und des § 7b GewStG zustehen, was in Rechtsprechung und Literatur kritisch gesehen wird. Da eine höchstrichterliche Entscheidung aber noch aussteht, sind entsprechende Verfahren offen zu halten bzw. könnten sogar noch Anträge auf Befreiung gestellt werden.
 
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Dr. Klaus Olbing
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