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Zum Vorrang des Zeugenbeweises im Finanzgerichtsprozess

In einem jüngst von STRECK MACK SCHWEDHELM erstrittenen Beschluss des BFH vom 7.8.2019 (Az.: V B 111/18) präzisiert der BFH seine Rechtsprechung zum Vorrang des Zeugenbeweises gegenüber dem Urkundenbeweis im Finanzgerichtsprozess. Der BFH stärkt mit dieser Entscheidung die verfahrensrechtliche Position der Steuerpflichtigen und Berater vor den Finanzgerichten in einer typischen Fallkonstellation:

Im Streitfall beantragte der Steuerpflichtige (Kläger) im finanzgerichtlichen Klageverfahren die Vernehmung eines Zeugen aus dem Ausland und rügte vorsorglich die Nichterhebung dieses Beweises. Dieser Zeuge hatte zuvor außerhalb des Klageverfahrens im Ausland gegenüber der ausländischen Steuerbehörde eine Aussage getätigt, die von der ausländischen Steuerbehörde protokolliert wurde. Der Kläger widersprach jedoch in der mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht dieser protokollierten Aussage und machte sich diese nicht zu eigen. Das Finanzgericht verzichtete auf eine eigene Vernehmung des Zeugen. Gleichwohl stützte das Finanzgericht sein klageabweisendes Urteil auf die lediglich von der ausländischen Steuerbehörde protokollierten Aussage des Zeugen, weil es diese protokollierte Aussage für glaubhaft hielt trotz der Widersprüche in der Aussage.

Gegen das klageabweisende Urteil des Finanzgerichts erhob der Kläger beim BFH Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision. Die Beschwerde hatte Erfolg. Der BFH hob im Beschwerdeverfahren das Urteil des Finanzgerichts auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung an das Finanzgericht zurück. Zur Begründung führt der BFH die vom Kläger gerügten Verfahrensmängel im Sinne des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO wegen folgender Verstöße gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme an:

1.       Der aus § 81 Abs. 1 Satz 1 FGO abgeleitete Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme besagt, dass Zeugen in erster Linie vom Finanzgericht vernommen werden müssen. Zwar dürfen im Wege des Urkundenbeweises in anderen gerichtlichen Verfahren gewonnene Beweisergebnisse im Prozess eingeführt werden. Ihre Verwertung - so der BFH - gegen den Widerspruch eines der Prozessbeteiligten (hier des Klägers) ist aber unzulässig, solange die erneute Beweisaufnahme (hier die Vernehmung des ausländischen Zeugen) durch das Finanzgericht selbst möglich ist. Der BFH verweist hierzu auf seine ständige Rechtsprechung (zB BFH vom 8.11.2016 X B 28/16, BFH/NV 2017, 307; vom 27.7.2009 I B 219/08, BFH/NV 2010, 45; vom 12.6.1991 III R 106/87, BStBl. II 1991, 806,). Nur in einer Vernehmung des Zeugen durch das Finanzgericht selbst - so der BFH - können überdies Widersprüche in der protokollierten Aussage des Zeugen aufzulösen sein.

2.       Die Vernehmung des Zeugen - so der BFH weiter - durfte das Finanzgericht nicht mit der Begründung ablehnen, der Kläger habe keine ladungsfähige Anschrift des Zeugen benannt. Denn die ladungsfähige Anschrift war dem Finanzgericht nach Aktenlage bekannt, insbesondere weil sie sich aus der verwerteten protokollierten Aussage ergab.

3.       Es liegt ferner - so der BFH - ein formeller Verstoß gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme vor, weil das Finanzgericht bei seiner Urteilsfindung nicht den unterschiedlichen Beweiswert von Urkunden- und Zeugenbeweis berücksichtigt hatte und verwies hierzu auf den BFH-Beschluss vom 26.7.2010 VIII B 198/09, BFH/NV 2010, 2096. Dieser Verstoß folgt - so der BFH - im Streitfall daraus, dass das Finanzgericht die protokollierte Aussage als glaubhaft gewürdigt und somit wie eine Zeugenaussage verwertet hatte, obwohl nur ein Urkundenbeweis vorlag.

Fazit: Außerhalb eines finanzgerichtlichen Klageverfahrens getätigte schriftliche Protokolle und Vernehmungen sind im Finanzgerichtsprozess nur eingeschränkt verwertbar. Steuerpflichtige und Berater können somit regelmäßig auf Neuvernehmung im Finanzgerichtsprozess bestehen. Wichtig hierfür: Der protokollierten Aussage ist zu widersprechen. Die Nichterhebung des Zeugenbeweises durch das Finanzgericht ist bereits vor dem Finanzgericht in der mündlichen Verhandlung zu rügen, dh. bevor das Urteil des Finanzgerichts ergeht.

 

Cristian Esteves Gomes
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht
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