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Vorsicht: Haftungsfalle Erledigungserklärung im FG-Prozess bei AdV

  1. Im finanzgerichtlichen Klageverfahren kommt es nicht selten zu einer Einigung mit dem Finanzamt. Es stellt sich dann die Frage, zu welchem Zeitpunkt der Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt zu erklären ist: vor oder erst nach Änderung des angefochtenen Bescheids. Bei einem von der Vollziehung ausgesetzten Bescheid, der mit der Klage angefochten wird, muss der steuerliche Berater das BFH-Urteil vom 14.6.2017 I R 38/15, BStBl. II 2018, 2 im Blick haben, um Haftungsrisiken zu vermeiden. Denn nach diesem BFH-Urteil gilt:

    Aussetzungszinsen sind nicht zu erheben, soweit der angefochtene Bescheid geändert und der Rechtsstreit erst danach übereinstimmend für erledigt erklärt wird.

    Wird jedoch der Rechtsstreit ohne vorherige Änderung des angefochtenen Bescheids übereinstimmend für erledigt erklärt, fallen - so der BFH - Aussetzungszinsen endgültig an ohne Berücksichtigung der späteren einigungsgemäßen Änderung des ange¬fochtenen Bescheids. Danach sind zB Aussetzungszinsen auch für die Steuerbeträge zu erheben, die nach der Einigung mit dem Finanzamt in dem angefochtenen Steuerbescheid zu mindern sind, wenn die übereinstimmenden Erledigungserklärungen vor Änderung des angefochtenen Steuerbescheids ergehen.

  2. Diesen Rechtsgrundsatz hat der BFH in seinem Urteil vom 14.6.2017 aufgestellt, obgleich er nicht entscheidungserheblich war (sog. „obiter dictum“), weil es in seinem Entscheidungsfall nicht um die Bemessung der Aussetzungszinsen, sondern um deren Festsetzungsverjährung ging. Dieses „obiter dictum“ ist in der Fachliteratur umstritten und weicht von der bisherigen Finanzgerichtsrechtsprechung ab (vgl. im Einzelnen WULF, Stbg 2018, 408; LINDWURM, AO-StB 2018, 9; jeweils mwN). Im Bedarfsfall kann also noch hierüber gestritten werden, wenn auch mit ungewissen Erfolgsaussichten.
  3. Positive Kehrseite des BFH-Urteils vom 14.6.2017 ist: Die Festsetzungsfrist für die Zinsen beträgt nach § 239 Abs. 1 Satz 1 AO nur ein Jahr und beginnt - so der BFH - nach § 239 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 AO ebenfalls bereits mit Eingang der übereinstimmenden Erledigungserklärungen beim Finanzgericht und nicht erst mit der späteren Änderung des angefochtenen Bescheids. Vermeintliche Haftungsfälle können auch hiermit unter Umständen abgewendet werden.
  4. Fazit: Bei „vorzeitiger Erledigungserklärung“ im FG-Prozess drohen dem Berater Haftungsrisiken. Bei gewährter AdV ist daher erst nach Ergehen des Änderungsbescheids der Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt zu erklären. Drängt das Finanzgericht zu einer „vorzeitigen Erledigungserklärung“, sollte allenfalls mit Hinweis auf das BFH-Urteil vom 14.6.2017 zu Protokoll erklärt werden, dass sich der Kläger verpflichtet, den Prozess für erledigt zu klären, sobald der Änderungsbescheid bekanntgegeben wurde. Alles zuvor Ausgeführte gilt auch bei Aufhebung von Bescheiden oder Berichtigung von Bescheiden nach § 129 AO.
Cristian Esteves Gomes
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht
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