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Der Zehnt Aktuell
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Strengere BFH-Rechtsprechung zur beSt-Nutzungspflicht
In der Vergangenheit hatten wir uns in unseren Newslettern mehrfach zu der sehr strengen, aber zum Teil divergierenden Entscheidung des BFH zum besonderen elektronischen Steuerberaterpostfachs (beSt) geäußert (Wulf/Vitale, Newsletter vom 30.6.2023 und Ruske, Newsletter vom 7.9.2023 und 1.8.2024). In unserem Newsletter vom 17.5.2024 hatten wir die Abkehr des BFH von seiner strengen Rechtsprechung in einzelnen Entscheidungen begrüßt und auf weitere positive Entscheidungen gehofft. Diese Hoffnung hat sich bisher leider nicht erfüllt. Nunmehr liegt ein weiterer Beschluss des BFH vom 11.4.2024 (XI B 59/23, DStR 2024, 2229) zum beSt vor, der die bisherige strenge Rechtsprechung fortführt.
Beschluss des BFH vom 11.4.2024 XI B 59/23
Nach Ansicht des BFH hatte das Niedersächsische FG die Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen.
1. Sachverhalt
Die Klägerin, vertreten durch ihre bevollmächtigte Steuerberatungsgesellschaft, erhob auf die Einspruchsentscheidung des Finanzamts Klage wegen Körperschaftsteuer 2018. Die Klage ging beim FG am 9.1.2023 per Briefpost ein. Nach richterlichem Hinweis vom 17.1.2023 zur Nutzungspflicht des beSt, teilte die Klägerin am 19.1.2023 per Telefax mit, dass keine Nutzungspflicht nach § 52d Satz 2 FGO bestehe, da das beSt bei den Prozessbevollmächtigten auch nach erfolgter Registrierung nicht funktionsfähig sei. Die Klageerwiderung des Finanzamts beantwortete die Klägerin am 9.3.2023 mittels beSt und trug vor, erst durch ein Update der Kanzleisoftware am 30.1.2023 habe das beSt von der Prozessbevollmächtigten genutzt werden können. Am 22.5.2023 reichte sie die Klageschrift über das beSt ein. Das FG wies die Klage mit Urteil vom 10.8.2023 (Az. 6 K 13/23) als unzulässig ab und ließ die Revision nicht zu. Hiergegen richtete sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin.
2. Vorübergehende technische Störung
Die am 9.1.2023 per Briefpost beim FG eingegangene Klage sei nicht in der gebotenen Form eingereicht worden. Der Formverstoß führe zur Unwirksamkeit der Klageerhebung und schließe eine Wahrung der am 12.1.2023 abgelaufenen Klagefrist aus.
Nachdem die Bundessteuerberaterkammer ihrer Verpflichtung aus § 86e Abs. 1 StBerG nachgekommen sei, seien die eingetragenen Berufsausübungsgesellschaften auf der Grundlage von § 52d Satz 2 iVm. § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO seit dem 1.1.2023 zur Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs und zur Übermittlung vorbereitender und bestimmender Schriftsätze sowie schriftlich einzureichender Anträge und Erklärungen als elektronisches Dokument verpflichtet (vgl. zuletzt BFH vom 16.1.2024 VIII B 141/22; vom 23.1.2024 IV B 46/23; vom 2.2.2024 IX B 26/23).
Eine verspätete Einrichtung des beSt durch dessen Inhaber hindere die Nutzungspflicht nicht. Aus § 86e Abs. 4 iVm. § 86d Abs. 6 StBerG ergebe sich die Verpflichtung von Berufsausübungsgesellschaften als Inhabern des beSt, die für dessen Nutzung erforderlichen technischen Einrichtungen vorzuhalten. Die Nutzungspflicht aus § 52d Satz 2 iVm. § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO ab dem 1.1.2023 werde nicht davon berührt, ob das beSt zu diesem Datum tatsächlich freigeschaltet sei, ob dem Inhaber des beSt die für dessen Nutzung vorzuhaltenden erforderlichen technischen Einrichtungen (§ 86e Abs. 4 iVm. die § 86d Abs. 6 StBerG) zur Verfügung stehe oder ob er das beSt in die Kanzleisoftware implementiert habe; dies liegt allein im Verantwortungsbereich des Inhabers des beSt (vgl. BFH vom 28.4.2023 XI B 101/22, BFHE 279, 523, BStBl. II 2023, 763; vom 11.8.2023 VI B 74/22, BFH/NV 2023, 1221; vom 16.1.2024 VIII B 141/22; vom 23.1.2024 IV B 46/23).
Vorliegend war das beSt der klägerischen Prozessbevollmächtigten vor dem 9.1.2023, dem Tag der Einreichung der Klage per Briefpost, empfangsbereit eingerichtet. Nach Angaben der Prozessbevollmächtigten scheiterte die Übermittlung der Klageschrift per beSt am 9.1.2023 nicht daran, dass sie etwa keinen Registrierungsbrief erhalten hätte und sie sich nicht habe registrieren können. Vielmehr habe sie die Registrierung in den ersten Tagen des Januar 2023 unmittelbar nach Eingang des Registrierungsbriefes durchgeführt. Gleichwohl sei das beSt aufgrund einer Inkompatibilität mit der DATEV-Software nicht nutzbar gewesen, was erst am 30.1.2023 durch Aufspielen eines Software-Updates habe behoben werden können. Dies liege – so der BFH – nach § 86e Abs. 4 iVm. § 86d Abs. 6 StBerG im Verantwortungsbereich der Prozessbevollmächtigten.
Eine Ersatzeinreichung der Klage (per Briefpost) sei im Streitfall nicht zulässig gewesen. Nach § 52d Satz 3 FGO bleibt die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig, wenn dem nutzungsverpflichteten Einreicher eine Übermittlung aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich ist. Im Streitfall habe jedenfalls keine „vorübergehende technische Störung“ vorgelegen. Die Ersatzeinreichungsmöglichkeit sei nach dem Wortlaut der Vorschrift auf Fälle der vorübergehenden technischen Unmöglichkeit beschränkt. Eine solche sei nicht gegeben, wenn – wie hier – ein zugelassener elektronischer Übermittlungsweg durch den Inhaber des beSt empfangsbereit eingerichtet wurde, aber aufgrund technischer Mängel der eigenen digitalen Infrastruktur nicht genutzt werden könne. Es handele sich dann um einen strukturellen Mangel in der Kanzlei, der den Rückgriff auf die Papierform nicht rechtfertige (vgl. BFH vom 11.8.2023 VI B 74/22, BFH/NV 2023, 1221; vom 16.1.2024 VIII B 141/22).
Nach Ansicht der Literatur war es bislang dagegen gleichgültig, ob die Ursache für die technische Störung in der Sphäre des Gerichts oder des Bevollmächtigten liegt (vgl. Brandis in Tipke/Kruse, § 52d FGO Rz. 2; Schenke in Kopp/Schenke, 21. Aufl. 2015, § 55d VwGO Rz. 8).
3. Keine Divergenz iSd. § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 FGO
Nach Ansicht des BFH war die Revision auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 FGO) wegen Divergenz zuzulassen. Maßgeblich dafür ist der Stand der Rechtsprechung im Zeitpunkt der Entscheidung über die Zulassung der Revision; frühere Entscheidungen, die durch die neuere BFH-Rechtsprechung überholt sind, können daher eine Divergenz nicht begründen (vgl. BFH vom 17.8.2021 XI B 29/21, BFH/NV 2022, 47).
Der Senat des BFH hatte am 25.10.2022 (IX R 3/22, BStBl. II 2023, 267) entschieden, dass Berufsausübungsgesellschaften ab dem 1.1.2023 zur Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs und zur Übermittlung (vorbereitender und) bestimmender Schriftsätze sowie schriftlich einzureichender Anträge und Erklärungen als elektronisches Dokument verpflichtet sind. Dieser Rechtsprechung haben sich der XI. Senat (vgl. vom 28.4.2023 XI B 101/22, BStBl. II 2023, 763) sowie der IX., VI., IV sowie der VIII. Senat angeschlossen (vgl. ua. vom 11.8.2023 VI B 74/22, DStRE 2023, 1332; vom 31.10.2023 IV B 77/22, BFH/NV 2024, 20; vom 16.1.2024 VIII B 141/22, BFH/NV 2024, 405; vom 23.1.2024 IV B 46/23, BFH/NV 2024, 392; vom 2.2.2024 – IX B 26/23, BFH/NV 2024, 415). Die von der Beschwerde zitierten, von dieser Sichtweise abweichenden finanzgerichtlichen Entscheidungen seien dadurch überholt.
Gänzlich unerwähnt lässt der BFH allerdings die Entscheidungen des X. Senats vom 17.4.2024 (X B 68/23 und X B 69/23). Nach diesen Entscheidungen war nämlich zweifelhaft, ob die Verpflichtung zur Nutzung des beSt überhaupt ab dem 1.1.2023 auf einer zulässigen rechtlichen Grundlage beruhte. Nach Ansicht des X. Senats setzt der wirksame Erlass einer Rechtsverordnung ua. voraus, dass die entsprechende formell-gesetzliche Ermächtigungsgrundlage im Zeitpunkt des Erlasses der Rechtsverordnung bereits in Geltung gestanden hat (BVerwG vom 20.4.2023 2 C 18.21, NVwZ 2023, 1423). Von einer Ermächtigung kann erst Gebrauch gemacht werden, wenn sie vorliegt (BVerfG vom 26.7.1972 2 BvF 1/71, BVerfGE 34, 9). Vor diesem Hintergrund sei zweifelhaft, ob die Steuerberaterplattform- und -postfachverordnung überhaupt die Grundlage für die Erstregistrierung zum besonderen elektronischen Steuerberaterpostfach, für dessen Ausgestaltung und damit für die Nutzungspflicht nach § 52d Satz 2 FGO ist, wirksam geworden ist. Sie wurde am 25.11.2022 erlassen (BGBl. I 2022, 2105 vom 30.11.2022); ihre Ermächtigungsgrundlage (§ 86f StBerG) war jedoch erstmals nach Ablauf des 31.12.2022 anzuwenden (§ 157e StBerG). Zudem hatte der X. Senat insbesondere verfassungsrechtliche Zweifel an der strengen Anwendung der Nutzungspflicht des beSt.
Mit dieser Rechtsprechung des X. Senats setzt sich der XI. Senat nicht auseinander.
Fazit für die Praxis
Der Ansicht in der Literatur, dass eine technische Störung – unabhängig davon, aus welcher Sphäre sie stammt – zu einer Ersatzeinreichung nach § 52d Satz 3 FGO berechtigt, schiebt der BFH nunmehr einen Riegel davor. Man wird sich darüber streiten können, ob es sich im vorliegenden Fall noch um eine „vorübergehende“ technische Störung handelte. Dass allerdings eine technische Störung aufseiten der Prozessbevollmächtigen gleich zu einem strukturellen Mangel der Kanzleiorganisation führe und die Anwendung der Ersatzeinreichung ausschließe, ist unseres Erachtens nicht richtig. Es besteht stets die Möglichkeit, dass unvorhergesehene IT-Probleme – gleich welcher Art und in wessen Sphäre – auftreten können (zB Cyberangriff). Der Steuerberater muss dann die Möglichkeit haben – sofern das Problem nicht kürzester Zeit behoben werden kann – gerichtliche Fristen mittels Ersatzeinreichung einhalten zu können.
Die Entscheidungen des X. Senats wurden vom XI. Senat zudem ignoriert. Es bleibt abzuwarten, ob der X. Senat nochmals die Möglichkeit erhält, zum beSt Stellung zu nehmen und eine Anrufung des Großen Senats (§ 11 FGO) möglich wird.
Für forensisch tätige Steuerberater gilt daher der dringende Rat, dass die technischen Gegebenheiten der Kanzleisoftware in Bezug auf das beSt funktionieren müssen und dies nachgehalten werden muss. Bei Auffallen eines Fehlers muss schnellstmöglich Abhilfe geschaffen werden. Ungeachtet der vorliegenden Entscheidung sollte zudem von der Ersatzeinreichung Gebrauch gemacht werden, wenn technische Störungen vorliegen. Wenn die technischen Probleme vor Fristablauf nicht behoben werden können, kann die Klageschrift – notfalls – zunächst vom Mandanten selbst eingereicht werden. Für den Mandanten gelten die Regelungen des § 52d Satz 2 iVm. § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FGO nicht.