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Der Zehnt Aktuell
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Steuerrecht ist Eingriffsrecht
Können vom BFH zugunsten der Steuerpflichtigen abweichend vom Wortlaut des Gesetzes entwickelte Grundsätze von der Finanzverwaltung zulasten der Steuerpflichtigen instrumentalisiert werden?
Nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 EStG sind bei einer Personengesellschaft insgesamt gewerbliche Einkünfte anzunehmen, wenn diese „auch“ gewerbliche Einkünfte erzielt. § 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 EStG führt dazu, dass in Folge der Umqualifizierung sämtliche Einkünfte der Personengesellschaft in solche aus Gewerbebetrieb, der von der Personalgesellschaft insgesamt erzielte Gewinn nach Maßgabe der Bestimmung über die Ermittlung des Gewerbeertrags (§§ 7 ff. GewStG) der Gewerbesteuer unterfällt. Auf diese Weise werden an sich nicht gewerbliche Einkünfte mit Gewerbesteuer belastet. Darin liegt eine Ungleichbehandlung (Schlechterstellung) der Personalgesellschaft gegenüber dem Einzelunternehmer, der gleichzeitig mehrere verschiedene Einkunftsarten verwirklichen kann, mit der Folge, dass bei ihm nur die originär gewerbliche Tätigkeit der Gewerbesteuer unterfällt (vgl. BFH v. 6.6.2020 IV R 30/60, BStBl. II 2020, 649).
Um diese belastende Typisierung des Gesetzes mit der Konsequenz der Umqualifizierung der Einkünfte verhältnismäßig im Sinne des verfassungsrechtlich verankerten Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu gestalten, gewährt der BFH eine Bagatellgrenze (vgl. nur BFH v. 27.8.2014 VIII R 16/11, BStBl. II 2015, 996).
In der Praxis stellt sich die Frage, ob diese zur Erfüllung des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zugunsten der Steuerpflichtigen entwickelte einengende Auslegung des Gesetzes, sich in ihr Gegenteil verkehren kann.
Beispiel
A bringt sein Einzelunternehmen in die A-GmbH nach § 20 UmwStG vermeintlich steuerneutral ein. Voraussetzung ist, dass sämtliche wesentliche Betriebsgrundlagen auf die GmbH übertragen werden. Das Finanzamt bestreitet dies. A überlässt zusammen mit seiner Ehefrau aus der A-GbR das Betriebsgelände an das Einzelunternehmen und später an die A-GmbH. Das Finanzamt ist der Auffassung, dass der GbR-Anteil des A in die A-GmbH hätte überführt werden müssen. Dies ist dann nicht der Fall, wenn die Ehegatten-GbR einen eigenen Gewerbebetrieb darstellt. Die Ehegatten-GbR hat geringfügige gewerbliche Einnahmen. Das Finanzamt wendet die vom BFH zugunsten der Steuerpflichtigen entwickelte Bagatellgrenze an.
ME darf die Finanzverwaltung vom Wortlaut des § 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 EStG zulasten der Steuerpflichtigen nicht abweichen. Es gibt keine Rechtsgrundlage dafür, dass sich die Finanzverwaltung zulasten der Steuerpflichtigen auf die Bagatellgrenze berufen kann. Die Bagatellgrenze wurde bis heute nicht in das Gesetz aufgenommen. Steuerrecht ist Eingriffsrecht: Der Eingriff muss vom Gesetz klar definiert sein. Damit ist es nicht vereinbar, wenn von der Rechtsprechung abweichend vom Gesetzeswortlaut entwickelte Grundsätze, die „Hilfsmittel“ sind, um unverhältnismäßige Ergebnisse zulasten der Steuerpflichtigen zu vermeiden, zulasten der Steuerpflichtigen einzusetzen. Die Bagatellgrenze kann nicht zu steuerbegründenden Effekten herangezogen werden. Ein Kongruenz-Prinzip, das was zugunsten der Steuerpflichtigen gewährt wird, auch zu ihren Lasten angewandt werden kann, gibt es im deutschen Steuerrecht nicht. Das Finanzgericht Nürnberg hat dies in einer nunmehr veröffentlichten Entscheidung ebenso gesehen (FG Nürnberg v. 12.12.2023 1 K 1572/20). Die Revision ist beim BFH unter dem Aktenzeichen IV R 5/24 anhängig.