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Steuerblog
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Verwertungsverbot im Besteuerungsverfahren
BFH untersagt die ungefilterte Weitergabe von sichergestellten Emails an die BP
In der Praxis kommt es immer wieder vor, dass Unterlagen oder elektronische Daten, die im Rahmen von Strafverfahren beschlagnahmt worden sind, später ihren Weg zur Betriebsprüfung finden und dann für steuerliche Zwecke genutzt werden. Dies gilt unabhängig davon, ob die außersteuerlichen Vorwürfe sich im Verlauf des Strafverfahrens als zutreffend erweisen oder nicht, eine steuerliche (Weiter-)Verwendung kommt in beiden Varianten vor. Der BFH hat jetzt in einem solchen Fall die aufgefundenen und im Besteuerungsverfahren genutzten Emails mit einem Verwertungsverbot belegt, was einigermaßen spektakulär ist, da die Rechtsprechung der Finanzgerichte zur Anerkennung von Verwertungsverboten im Steuerverfahren bislang eher zurückhaltend war (BFH vom 23.4.2025 – I B 51/22).
Wie hatte die Staatsanwaltschaft die Daten im konkreten Fall erlangt?
Die Entscheidung des BFH ist auch in strafprozessualer Hinsicht lesenswert, da die in der Praxis relevanten Fragen der StPO dort am Entscheidungsfall schulbuchmäßig dargestellt werden: In der konkreten Konstellation wurde ein Ermittlungsverfahren wegen des Vorwurfs von Verstößen gegen das Wertpapierhandelsgesetz geführt, in dem die Kriminalpolizei im Rahmen einer Durchsuchung im Februar 2012 eine Festplatte mit Emails sicherstellte. Rechtsgrundlage für die Maßnahme der Kriminalpolizei war ein Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss des Amtsgerichts. Im Jahr 2014 leitete die Kriminalpolizei die Festplatte mit allen Daten (vollständig und ungefiltert) an den Betriebsprüfer weiter, der im Rahmen seiner laufenden Außenprüfung offenbar um die Übersendung von Informationen gebeten hatte. Der BFH legte dar, dass in diesem Fall der Beschluss des Amtsgerichts entgegen seiner Bezeichnung noch keine Beschlagnahmeanordnung im eigentlichen Sinne beinhalten konnte, da dort die sicherzustellenden Gegenstände lediglich abstrakt genannt und nicht konkret aufgeführt worden waren. Damit konnte dieser Beschluss hinsichtlich der Begründung amtlichen Gewahrsams keine „Tatbestandswirkung“ entfalten, was das Tor für eine eigenständige Prüfung der strafprozessualen Situation im Besteuerungsverfahren eröffnete (instruktiv Rz. 20 des Beschlusses).
Verstoß gegen § 110 StPO begründet ein „qualifiziertes materiell-rechtliches Verwertungsverbot“!
Prüfungsmaßstab ist sodann § 393 Abs. 3 Satz 1 AO, der die Verwendung von rechtmäßig in einem Strafverfahren erlangten Erkenntnissen, im Rahmen des Besteuerungsverfahrens ausdrücklich erlaubt. Über den Wortlaut hinaus geht der BFH in st. Rspr. davon aus, dass einfache Verfahrensfehler, die die Maßnahme strafprozessual rechtswidrig machen (wie zB eine unterlassene Belehrung) der Verwendung im Besteuerungsverfahren nicht entgegenstehen. Verboten ist die Verwertung von Erkenntnissen im Besteuerungsverfahren aber dann, wenn „die Ermittlung der Tatsachen einen verfassungsrechtlich geschützten Bereich des Steuerpflichtigen verletzt“. Diese Klausel wird vom BFH in ständiger Rechtsprechung verwendet – vielfach allerdings sehr großzügig zugunsten der Ermittlungsbehörden ausgelegt. Nicht so im vorliegenden Fall: Die Daten auf der Festplatte befanden sich nach der überzeugenden Analyse des BFH strafprozessual noch im Stadium der vorläufigen Sicherstellung nach § 110 StPO. Nach dem dort geltenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit mussten sie von den Ermittlungsbehörden nach ihrer Beweiserheblichkeit gesichtet und gefiltert werden – wobei vorliegend die Besonderheit bestand, dass sich das Strafverfahren nicht auf die später im Steuerverfahren streitige Frage des Orts der Geschäftsleitung bezog. Folgerichtig ging der BFH davon aus, dass die für den Betriebsprüfer interessanten Emails bei rechtmäßiger Anwendung von § 110 StPO nicht beschlagnahmt, sondern an die betroffene Gesellschaft hätten zurückgegeben werden müssen. Stattdessen wurden die Daten 2 ¾ Jahre nach der Durchsuchung ungefiltert an den Betriebsprüfer herausgegeben. Dadurch wurde eine Situation geschaffen, wie wenn der Prüfer des Finanzamts die Festplatte selbst an sich genommen hätte, obwohl dem Prüfer im Rahmen der Außenprüfung gerade kein Recht zur Durchsuchung und Beschlagnahme zusteht (und die Mails im konkreten Fall auch nicht dem Datenzugriffsrecht aus § 147 Abs.6 AO unterlagen!). Die Verletzung der Vorgaben aus § 110 StPO sah der BFH deshalb als eine schwerwiegende Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung an, die zum Verwertungsverbot führte.
Beraterhinweis und „Lessons learnt“ für die Gerichte
Für Beraterinnen und Berater ist die Entscheidung des BFH eine Blaupause dafür, wie zu argumentieren ist, um eigenen Fällen ein steuerliches Verwertungsverbot zu erreichen. Dabei ist darauf zu achten, bereits im Strafverfahren die Weichen so zu stellen, dass das Finanzgericht nicht später von einer rechtmäßigen Beweisgewinnung im Sinne der „Tatbestandswirkung“ von strafprozessualen Anordnungen ausgehen muss (oder kann). Zugleich würde man sich wünschen, dass die Entscheidung des BFH allen Ermittlungsrichtern an deutschen Amtsgerichten und den zuständigen kleinen Strafkammern der Landgerichte (die als Beschwerdeinstanz fungieren) einmal zum Lesen gegeben werden würde, um sich anzuschauen, wie es aussieht, wenn die verfassungsrechtlichen Vorgaben des BVerfG vorbildhaft umgesetzt werden – was in der Praxis der Strafgerichte eher die Ausnahme als die Regel ist. Zu guter Letzt bleibt die Hoffnung, dass die Entscheidung des I. Senats vielleicht auch auf der Ebene des BFH und der Finanzgerichte den Anstoß dafür gibt, den selbst definierten Maßstab für ein qualifiziertes materiell-rechtliches Verwertungsverbot konsequenter als bisher umzusetzen.