Kontaktieren Sie uns gerne!
Der Zehnt Aktuell
Mit unserem wöchentlichen Newsletter informieren wir Sie im Bereich Steuerrecht über aktuelle Themen, Entscheidungen und Kanzlei-News.
Neues vom EuGH zur umsatzsteuerlichen Organschaft
Mit zwei jüngeren Entscheidungen überrascht der EuGH die umsatzsteuerliche Organschaft mit „Steinen und Brot“: Er erweitert einerseits die Einbeziehungsmöglichkeit einer Personengesellschaft als Organgesellschaft. Andererseits schränkt der EuGH das Vorliegen von nicht steuerbaren Innenumsätzen in grenzüberschreitenden Fällen für Unternehmen mit Haupt- und Zweigniederlassungen ein. Eine Reaktion der Finanzverwaltung steht noch aus. Betroffene Steuerpflichtige sind gleichwohl gut beraten, die Auswirkungen bereits jetzt für sich zu prüfen.
I. Einbeziehung von Personengesellschaften
Bisheriges Verständnis
Entgegen dem Wortlaut des § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG kann nicht nur eine juristische Person, sondern auch eine Personengesellschaft als Organgesellschaft in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert sein (vgl. EuGH-Urteil vom 16.7.2015, C-108/14 „Larentia+Minerva“, BStBl. II 2017, 604).
Der V. Senat des BFH und ihm folgend die Finanzverwaltung fordern bisher hierfür, dass Gesellschafter der Personengesellschaft nur der Organträger und Personen sind, die wiederum selbst in das Unternehmen des Organträgers finanziell iSd. § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG eingegliedert sind. Vereinfacht formuliert: „Fremdgesellschafter“, dh. Gesellschafter der Personengesellschaft, an denen der Organträger nicht oder nur bis zu 50 % beteiligt ist, sind schädlich für die Einbeziehung einer Personengesellschaft in die Organschaft (vgl. BFH-Urteile vom 2.12.2015 - V R 25/13, BStBl. II 2017, 547, und vom 3.12.2015 V R 36/13, BStBl. II 2017, 563; Abschn. 2.8 Abs. 5a UStAE).
Neues EuGH-Urteil
Auf Vorlage des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg hat der EuGH mit Urteil vom 15.4.2021 (C-868/19, DStR 2021, 915) diesem engen Verständnis eine Absage erteilt: Nach dem EuGH reicht aus, dass der Organträger seinen Willen in der Personengesellschaft durch mehrheitlich gefasste Beschlüsse durchzusetzen vermag. Vereinfacht formuliert: Es genügt, dass der Organträger unmittelbar oder mittelbar Mehrheitsgesellschafter der Personengesellschaft ist. Dann sind auch oa. „Fremdgesellschafter“ unschädlich.
Offene Fragen
Mit Blick auf fehlende Formvorschriften nach deutschem Zivilrecht für gesellschaft-srechtliche Vereinbarungen einer Personengesellschaft gestattet es der EuGH, für den Nachweis der Mehrheitsverhältnisse ein Urkundsbeweis zu fordern, oder die Bildung einer Organschaft von der Bewilligung durch die Finanzverwaltung abhängig zu machen. Beides sieht das UStG nicht vor, was uE jedoch erforderlich wäre. Ob und inwieweit die Finanzverwaltung, die Finanzgerichte oder der BFH gleichwohl solche einschränkende ungeschriebene Tatbestandsmerkmale fordern werden, bleibt abzuwarten. In Gestaltungsfällen sollte daher zum Nachweis der Mehrheitsverhältnisse ein Urkundsbeweis vorgehalten werden.
II. Grenzüberschreitende Organschaft
Bisheriges Verständnis
Die Beschränkung der Wirkungen der Organschaft auf das Inland gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 UStG ist europarechtskonform. Nach Ansicht der Finanzverwaltung bleibt der Begriff des Unternehmens iSd. § 2 Abs. 1 Satz 2 UStG jedoch hiervon unberührt mit der Folge (vgl. Abschn. 2.9 Abs. 2 und 6 UStAE): Grenzüberschreitende Leistungen innerhalb eines Unternehmens, zB zwischen einer Hauptniederlassung im Inland und einer Zweigniederlassung im Ausland eines Unternehmens (sei es des Organträgers oder der Organgesellschaft) sind nicht steuerbare Innenumsätze, es sei denn, es liegt ein innergemeinschaftliches Verbringen von Waren iSd. § 3 Abs. 1a UStG vor. Grenzüberschreitende Leistungen einer Betriebsstätte des Organträgers an die Organgesellschaft und umgekehrt sind hingegen steuerbar, weil dann zwei Unternehmen iSd. § 2 Abs. 1 Satz 2 UStG vorliegen.
Neues EuGH-Urteil
Auf Vorlage eines schwedischen Gerichts zu einem dänisch-schwedischen Fall beurteilt der EuGH mit Urteil vom 11.3.2021 (C-812/19 „Danske Bank“, DStRE 2021, 492) anders: Nach Art. 11 Abs. 1 MwStSystRL ist die Mehrwertsteuergruppe (Organschaft) selbst der Steuerpflichtige (Unternehmer) und somit der Leistungserbringer. Zu diesem Unternehmer gehören nur die inländischen Betriebsstätten der in die Organschaft einbezogenen Unternehmen. Daher sind, so der EuGH, Leistungen zwischen der Hauptniederlassung im Inland (im Streitfall Dänemark), die zur Organschaft gehört, und der Zweigniederlassung im Ausland (im Streitfall Schweden), die nicht Teil der Organschaft ist, generell umsatzsteuerbar und in der Folge ggf. auch umsatzsteuerpflichtig. Vereinfacht formuliert: Leistungserbringer ist nicht die Hauptniederlassung, sondern die Organschaft, eine selbständige „dritte Person“.
Offene Fragen
So klar die Entscheidung des EuGH auch ist - es bleibt offen, ob sie auf das deutsche Recht übertragbar ist (zu Recht zweifelnd STERZINGER, UR 2021, 359, 360). Denn anders als nach der MwStSystRL bestimmt das UStG für die Organschaft nicht eine „dritte Person“ (nämlich die Mehrwertsteuergruppe) als Unternehmer (und somit Leistungserbringer), sondern den Organträger, dh. ein an der Organschaft beteiligtes Unternehmen. Es könnte somit an einer Leistungserbringung durch eine „dritte Person“ an eine Zweigniederlassung fehlen, was jedoch erforderlich ist, um steuerbare Umsätze anzunehmen. Der EuGH hat sich in seinem Urteil vom 11.3.2021 nicht zu dieser deutschen Besonderheit geäußert.
III. Was tun?
Betroffene Steuerpflichtige können, müssen sich aber nicht, auf die neuen EuGH-Urteile berufen. Bis zu einer Anpassung des UStAE haben Steuerpflichtige ein „faktisches“ Wahlrecht, ob sie iSd. neuen EuGH-Urteile oder der bisherigen Verwaltungsansicht besteuert werden wollen. Sie genießen für die Vergangenheit Vertrauensschutz. Da jedoch mit einer Änderung des UStAE zu rechnen ist, sollten Steuerpflichtige bereits jetzt Alternativen prüfen, falls die neuen EuGH-Urteile nachteilig sind.
Sofern keine Handlungsalternativen bestehen, sind etwaige belastende Umsatzsteuerbescheide offen zu halten, bis der EuGH über die aktuell anhängigen Vorlagefragen des BFH entschieden hat, ob die deutsche Regelung, wonach der Organträger als Unternehmer die Umsatzsteuer für die Organschaft schuldet, überhaupt mit EU-Recht vereinbar ist (vgl. BFH-Beschlüsse vom 11.12.2019 - XI R 16/18, DStR 2020, 645, und vom 7.5.2020 - V R 40/19, DStR 2020, 1367; Az. beim EuGH: C-141/20 und C-269/20).