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Mehr Zeit für Erbengemeinschaften?

BFH bestätigt Rechtsprechung zum Begünstigungstransfer

I. Hintergrund: Begünstigte Übertragung des Familienheims

Die Übertragung des Familienheims ist erbschaft- und schenkungsteuerlich begünstigt (§ 13 Abs. 1 Nr. 4a–4c ErbStG). Soweit das Vermögen einer Person nicht aus Betriebsvermögen besteht, ist das Familienheim in der Regel der werthaltigste Vermögensgegenstand. Dementsprechend steht die Übertragung des Familienheims bei der Planung der (ggf. vorweggenommenen) Erbfolge regelmäßig im Fokus der steuerlichen Beratung. 

 

II. Problem: Erbengemeinschaft

Begünstigt sind insbesondere der Erwerb des Ehegatten oder Lebenspartners (§ 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG) sowie der Kinder (§ 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG) von Todes wegen. Voraussetzung für die Steuerbefreiung ist in diesen Fällen – unter anderem –, dass der Erwerber die Wohnung unverzüglich selbst nutzt (BFH vom 23.6.2015 II R 39/13, BStBl. II 2016, 225, Rz. 22). Dies führt in der Praxis oftmals zu Schwierigkeiten, wenn das Familienheim im Erbfall an eine Erbengemeinschaft fällt. 

Beispiel: Eheleute M und F bewohnen ein Familienheim. M ist Alleineigentümer und stirbt. Nach seinem Testament werden die beiden Söhne und F zu 1/3 Erben. Es besteht ein Nießbrauchsrecht der F. F nutzt allein (wie bereits vor dem Tod mit M) das Familienheim. 

Folge: Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG greift nur für den Erwerb der M (1/3). Bei den Söhnen entfällt die Steuerbefreiung, da sie die Wohnung nicht beziehen. 


III. Begünstigungstransfer

Um diese negative Folge abzumildern, sieht das Gesetz den sog. Begünstigungstransfer vor (§ 13 Abs. 1 Nr 4b Satz 4 und Nr. 4c Satz 4 ErbStG). Die Vorschrift ermöglicht die Übertragung von Vermögensgegenständen zwischen den Erben im Rahmen der Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft, um die vollständige Befreiung des Familienheims zu erlangen. Derjenige, der für den Erwerb des begünstigten Vermögens (des Familienheims) anderes aus demselben Nachlass stammendes Vermögen hingibt, soll so gestellt werden, als habe er von Anfang an begünstigtes Vermögen erhalten (BT-Drucks. 16/11107, S. 9).

Das Gesetz sieht – grob vereinfacht – folgenden Mechanismus vor: Übertragen die Söhne den von ihrem Vater erworbenen Anteil am Familienheim (begünstigtes Vermögen) im Rahmen der Teilung des Nachlasses auf die F, ist eine vollständige Begünstigung des Familienheims möglich. Insoweit erhöht sich der Wert des begünstigten Vermögens der F. Voraussetzung ist ferner, dass die F im Gegenzug ihren Söhnen aus dem Nachlass des M nicht begünstigtes Vermögen (zB Kapitalvermögen) überträgt. Die Vermögensgegenstände werden – vereinfacht gesagt – getauscht. 


IV. Zeitliche Grenzen des Begünstigungstransfers

In der Praxis ist die Auseinandersetzung von Erbengemeinschaften bspw. aufgrund von Schwierigkeiten bei der Bewertung oder des Umfangs des Nachlasses oftmals zeitaufwändig.

  1. Nach Auffassung der Finanzverwaltung kann die Begünstigung für das Familienheim jedoch grundsätzlich nur dann gewährt werden, wenn die Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft innerhalb von sechs Monaten erfolgt (H E 13.4 „Freie Erbauseinandersetzung“; BMF vom 14.03.2006, BStBl. I 2006, 253, Rz. 8).
  2. Der BFH ist dieser strengen Auffassung mit seiner Entscheidung vom 23.6.2015 (II R 39, BStBl. II 2016, 225) entgegengetreten. Die Begünstigung für das Familienheim könne unabhängig davon gewährt werden, ob die Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft zeitnah zum Erbfall erfolge.


V. Bestätigung der BFH-Rechtsprechung

Seine vorgenannte Rechtsprechungslinie (IV. 2.) hat der BFH in seiner jüngst veröffentlichten Entscheidung vom 15.5.2024 (II R 12/21) bestätigt: Der Begünstigungstransfer sei unabhängig davon zu gewähren, ob die Erbauseinandersetzung zeitnah zum Erbfall erfolgt. Eine zeitliche Nähe zum Erbfall schreibt das Gesetz für die Teilung des Nachlasses nicht vor. 

  1. Entscheidend sei allein, ob die Übertragung im Rahmen der Teilung des Nachlasses erfolge. Ob dies der Fall ist, sei im Wege der Auslegung des ihr zugrunde liegenden Erbteilungsvertrages unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. 
  2. Der zeitliche Abstand zwischen dem Anfall des Nachlasses und der Übertragung der Vermögensgegenstände sei nur ein Indiz dafür, ob die Übertragung noch im Rahmen der Teilung des Nachlasses erfolgt. Je nach dem Umfang des Nachlasses und den Schwierigkeiten bei der Bewertung einzelner Vermögensgegenstände könne im Einzelfall – entgegen der Auffassung des Finanzamts – auch bei einem über sechs Monate hinausgehenden Zeitraum zwischen Erbfall und Übertragung des Vermögens noch von einer Übertragung im Rahmen der Teilung des Nachlasses ausgegangen werden.

 

Beraterhinweis

Die Entscheidung ist zu begrüßen. Sie stärkt die Position des Steuerpflichtigen und schafft Rechtssicherheit. Die Auseinandersetzung von Erbengemeinschaften ist rechtlich und tatsächlich anspruchsvoll. Sie nimmt oftmals eine gewisse – unabsehbare – Zeit in Anspruch. 

  1. Gleichwohl sind auch nach dieser Rechtsprechung im Rahmen der Erbauseinandersetzung zeitliche Grenzen zu beachten, um die Begünstigung für das Familienheim im Erbfall (§ 13 Abs. 1 Nr. 4b und 4c ErbStG) zu erhalten. Voraussetzung für die Steuerbefreiung ist weiterhin, dass der Erwerber die Wohnung unverzüglich selbst zu eigenen Wohnzwecken nutzt. „Unverzüglich“ meint ohne schuldhaftes Zögern (vgl. § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB). Nach der Rechtsprechung des BFH ist ein Zeitraum von sechs Monaten nach dem Erbfall angemessen (BFH vom 6.5.2021 II R 46/19, BStBl. II 2022, 342; vom 23.6.2015 II R 39/13, BStBl. II 2016, 225). Wird bei Einzug die Sechsmonatsfrist ab dem Todesfall überschritten, muss der Erwerber darlegen und glaubhaft machen, zu welchem Zeitpunkt er sich zur Selbstnutzung des Familienheims für eigene Wohnzwecke entschlossen hat, aus welchen Gründen ein tatsächlicher Einzug nicht früher möglich war und warum er diese Gründe nicht zu vertreten hat (BFH vom 16.3.2022 II R 6/21, BFH/NV 2022, 898).
  2. Allerdings hat der BFH (vom 15.5.2024 II R 12/21) klargestellt, dass im Fall des Begünstigungstransfers nur der Erbe die Wohnung beziehen muss, der sie am Ende tatsächlich nutzt. Die anderen Miterben, die ihren Miteigentumsanteil zum Zwecke des Begünstigungstransfers auf den das Familienheim allein nutzenden Miterben übertragen, müssen nicht unverzüglich in das Familienheim einziehen. Der Begünstigungstransfer ist gerade darauf ausgerichtet, dass ein Miterbe das Familienheim allein nutzen kann. Zu fordern, dass die Miterben zunächst gemeinsam in das Familienheim einziehen müssen, um die Steuerbegünstigung übertragen zu können, würde dem Sinn dieser Regelung entgegenstehen.
Dr. Heinz-Willi Kamps
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht
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Dr. Torben Gravenhorst
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