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Keine Erleichterungen für den Verzicht auf die Umsatzsteuerbefreiung bei Übertragungen von Grundstücken, BFH hält an strenger Rechtsprechung fest

Der XI. Senat des BFH hat mit der Entscheidung vom 24.1.2022 (XI B 60/20) seine umstrittene Rechtsprechung bestätigt, wonach der Verzicht nach § 9 Abs. 3 Satz 2 UStG auf die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG bei Lieferungen von Grundstücken nur in dem notariell zu beurkundenden Verpflichtungsvertrag erklärt werden kann. Ein nachträglich – auch in einer notariell beurkundeten Vertragsergänzung oder -änderung – erklärter Verzicht sei selbst dann unzulässig, wenn er zwischen den Vertragsbeteiligten einvernehmlich erfolgt und keine Gefahr von Steuerausfällen besteht.

I.  Hintergrund
Der XI. Senat des BFH hatte mit Urteil vom 21.10.2015 XI R 40/13, BStBl. II 2017, 852 entschieden, dass der Verzicht auf die Umsatzsteuerbefreiung für die Lieferung eines Grundstücks (außerhalb eines Zwangsversteigerungsverfahrens) nach § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG nur in dem dieser Grundstückslieferung zugrundeliegenden notariell zu beurkundenden Vertrag erklärt werden könne. Ein späterer erklärter Verzicht auf die Umsatzsteuerbefreiung sei unwirksam, auch wenn er notariell beurkundet wird.

Bis zu dieser Entscheidung des BFH vom 21.10.2015 war von der Finanzverwaltung anerkannt, dass auf die Umsatzsteuerbefreiung auch durch eine Änderungs- oder Ergänzungsvereinbarung zu dem der Grundstückslieferung zugrundeliegenden notariell zu beurkundenden Vertrag verzichtet werden konnte. Dies war besonders in Konstellationen von erheblicher Bedeutung, in denen der Verkäufer Vorsteuerbeträge bspw. für Bauleistungen aufgewandt hatte, aber die Vertragsparteien zum Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses noch keine Kenntnis über die spätere Nutzung des Grundstücks durch den Käufer hatten oder von einer nicht umsatzsteuerpflichtigen Nutzung für das Unternehmen des Erwerbers ausgingen. In diesem Fall konnte der Verzicht nicht zulässig in der Urkunde erklärt werden und der Verkäufer konnte folglich den Vorsteuerabzug nicht geltend machen. Stellt sich später heraus, dass der Erwerber das Grundstück für umsatzsteuerpflichtige Ausgangsumsätze verwendet, konnten die Vertragsparteien jedoch bspw. in einer notariell beurkundeten Ergänzungsvereinbarung den Verzicht auf die Steuerbefreiung „nachholen“ und damit dem Verkäufer die Geltendmachung des Vorsteuerabzugs für seine Eingangsleistungen ermöglichen.   

Die strenge Rechtsprechung des BFH vom 21.10.2015 war daher sehr kritisch aufgenommen worden und man hatte die Hoffnung, dass der XI. Senat seine Rechtsprechung in einer Folgeentscheidung einschränken würde. Dies hat der Senat jedoch mit der Entscheidung vom 24.1.2022 (XI B 60/20) nicht getan. 

II. Entscheidung des BFH vom 24.1.2022 (XI B 60/20)
Es handelte sich um ein Beschwerdeverfahren gegen die Nichtzulassung der Revision. Der BFH hatte insbesondere über die Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfrage zu entscheiden, ob § 9 Abs. 3 Satz 2 UStG einer nachträglichen formwirksamen Optionsausübung, zum Beispiel in einer nachträglichen notariellen Vertragsergänzung- oder -änderung, auch dann entgegensteht, wenn sie zwischen den Vertragsbeteiligten einvernehmlich erfolgt und ihr weder das Schutzbedürfnis des Leistungsempfängers noch die Gefahr von Steuerausfällen entgegenstehen.

Nach dem BFH sei dies nicht klärungsbedürftig. Der BFH wiederholte dazu seine Rechtsprechung, dass der Wortlaut des § 9 Abs. 3 Satz 2 UStG eine Option zur Steuerpflicht auch in einer nachfolgenden Neufassung des Kaufvertrags selbst dann ausschließt, wenn diese Neufassung gleichfalls notariell beurkundet wurde. Der spätere Verzicht auf die Umsatzsteuerbefreiung des § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG sei unwirksam, da der Gesetzgeber mit der Vorschrift des § 9 Abs. 3 Satz 2 UStG eine Regelung getroffen habe, die nicht lediglich die Form des Verzichts auf die Umsatzsteuerbefreiung, sondern auch den Zeitpunkt der Optionsausübung bestimme. Nichts anderes gelte, wenn der nachträgliche Verzicht zwischen den Vertragsbeteiligten einvernehmlich erfolgt und dem weder das Schutzbedürfnis des Leistungsempfängers noch die Gefahr von Steuerausfällen entgegenstehen.
Offen ließ der BFH lediglich, ob eine formwirksame Optionsausübung durch eine notarielle Änderung oder Ergänzung des Kaufvertrags, auch dann ausgeschlossen ist, wenn die Vertragsparteien bereits zum Zeitpunkt des Abschlusses des notariell beurkundeten Kaufvertrags eine Optionsentscheidung getroffen hatten, diese aber (versehentlich) nicht in den Kaufvertrag aufgenommen haben. 

III. Praxishinweis
Bei Immobiliengeschäften muss daher immer bereits zum Zeitpunkt des notariell beurkundeten Abschlusses des Verpflichtungsgeschäfts nach § 311b Abs. 1 Satz 1 BGB geklärt werden, ob der Erwerber umsatzsteuerbare und umsatzsteuerpflichtige Umsätze mit der Immobilie ausführen wird und daher ein Verzicht auf die Umsatzsteuerbefreiung für den Übertragungsvorgang in Betracht kommt. Wenn der Verkäufer hohe Vorsteuerbeträge geltend machen könnte, ist dies von erheblicher Bedeutung. 

Steht bei Vertragsschluss noch nicht fest, wie der Erwerber das Grundstück nach der Übertragung nutzen wird, muss ggf. in Betracht gezogen werden, den Verzicht auf die Steuerbefreiung vorsorglich aufzunehmen. Anders als der Verzicht auf die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG, kann der Widerruf des Verzichts nach dem BFH auch solange erfolgen, wie die Steuerfestsetzung für das Jahr der Leistungserbringung noch anfechtbar oder noch nach § 164 AO änderbar ist (vgl. BFH vom 2.7.2021 XI R 22/19, BFH/NV 2021, 1624).

Dr. Alexander Ruske
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
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