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Jüngste Entwicklungen im Streit um § 6a GrEStG

Die Streitpunkte um die Steuerbefreiung für konzerninterne Erwerbsvorgänge gem. § 6a GrEStG sind vielschichtig (vgl. ausführlich zu aktuellen Problemen: SCHWEDHELM/ZAPF, DStR 2016, 1906 und 1967). Dies liegt nicht zuletzt daran, dass die - erst mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz vom 22.12.2009 (BGBl. I 2009, 3950) eingeführte - Norm sowohl vor dem BFH als auch vor dem EuGH auf dem Prüfstand steht.

I. Streitpunkte bei der Auslegung des § 6a GrEStG

Gem. § 6a GrEStG werden grds. steuerbare Rechtsvorgänge nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1, Abs. 2, 2a, 3 oder Abs. 3a GrEStG aufgrund einer Umwandlung, Einbringung oder eines anderen gesellschaftsrechtlichen Erwerbsvorgangs von der Grunderwerbsteuer befreit. Seit der tatbestandlichen Erweiterung auf Erwerbsvorgänge durch Einbringungen im Wege der Einzelrechtsnachfolge im Jahr 2013 hat die Vorschrift in der Praxis an Bedeutung gewonnen.

Schwierigkeiten bereiten seit jeher die Einschränkungen der Sätze 3 und 4. Die Steuerbefreiung findet nur Anwendung, wenn an dem Rechtsvorgang ausschließlich ein herrschendes Unternehmen und ein oder mehrere von diesem herrschenden Unternehmen abhängige Gesellschaften oder mehrere von einem herrschenden Unternehmen abhängige Gesellschaften beteiligt sind (Satz 3). Die Abhängigkeit definiert Satz 4 in zeitlicher und in sachlicher Hinsicht. Das herrschende Unternehmen muss hierfür an einer Kapitalgesellschaft innerhalb von fünf Jahren vor dem Rechtsvorgang und fünf Jahre nach dem Rechtsvorgang zu mindestens 95 % ununterbrochen beteiligt sein. Neben der für die Praxis schwierigen Identifizierung des maßgeblichen Unternehmensverbunds stehen derzeit gleich in mehreren Revisionsverfahren beim II. Senat des BFH folgende Rechtsfragen zur Klärung:

  • Muss ein herrschendes Unternehmen die Voraussetzungen gem. § 2 Abs. 1 UStG erfüllen (vgl. BFH II R 50/13, vorgehend FG Münster vom 15.11.2013 8 K 1507/11 GrE, EFG 2014, 306 und BFH II R 63/14, vorgehend FG Niedersachsen vom 9.7.2014 7 K 135/12, EFG 2015, 1739)?
  • Setzt die Grunderwerbsteuerbefreiung auch im Fall der Neugründung die Einhaltung der fünfjährigen Vorbehaltensfrist voraus (vgl. BFH II R 36/14, vorgehend FG Düsseldorf vom 7.5.2014 7 K 281/14 GE, EFG 2014, 1424)?
  • Ist die Fünfjahresfrist grundstücksbezogen auszulegen, so dass die fünfjährige Vorbehaltensfrist auf die Beteiligung des herrschenden Unternehmens an der übertragenden Gesellschaft und die fünfjährige Nachbehaltensfrist auf die Beteiligung des herrschenden Unternehmens an der erwerbenden Gesellschaft zu beschränken ist (vgl. BFH II R 58/14, vorgehend FG München vom 22.10.2014 4 K 37/12, EFG 2015, 243)?
  • Ist ein Umwandlungsvorgang, durch den der sog. Unternehmensverbund beendet wird, zB weil die abhängige Gesellschaft auf das herrschende Unternehmen verschmolzen wird, durch § 6a GrEStG begünstigt (vgl. BFH II R 62/14, vorgehend FG Nürnberg vom 16.10.2014 4 K 1059/13, EFG 2015, 424)?

II. Einschätzung des BFH

Bis auf eine Ausnahme hat der BFH das Bundesministerium der Finanzen in sämtlichen Verfahren gem. § 122 Abs. 2 FGO zum Beitritt aufgefordert und gebeten, zu den jeweiligen Rechtsfragen Stellung zu nehmen. In den Beschlüssen über die Beitrittsaufforderung hat sich der BFH durchaus kritisch zu der sehr restriktiven Auslegung des Unternehmensbegriffs sowie der Vor- und Nachbehaltensfristen durch die Finanzverwaltung geäußert. Der BFH ließ durchblicken, dass nach seiner Auffassung - neben dem im Wortlaut des § 6a GrEStG fehlenden Verweis auf § 2 UStG - keine sachlichen Gründe für eine Heranziehung des umsatzsteuerrechtlichen Unternehmerbegriffs ersichtlich sind. Auch bezüglicher der Behaltensfristen deutete der BFH eine Abfuhr an die Sichtweise der Finanzverwaltung an. Sachgerechte und klar ersichtliche Abgrenzungskriterien für die Frage, ob ein Grundstück im Zuge einer Umstrukturierung den Konzernverbund verlässt, seien demnach die Prüfung der Vorbehaltensfrist in Bezug auf den übertragenden Rechtsträger sowie die Prüfung der Nachbehaltensfrist in Bezug auf den übernehmenden Rechtsträger (sog. grundstücksbezogene Auslegung). Mit dem Ausgang der Revisionsverfahren wird daher zurecht eine Klärung der strittigen Punkte zugunsten des Steuerpflichtigen erwartet.

III. § 6a GrEStG als schädliche Beihilfe?

Zunächst besteht jedoch ein weiteres Problem: Der nationale Gesetzgeber hat die Europäische Kommission vor Einführung des § 6a GrEStG nicht wegen des möglichen Vorliegens einer nationalen Beihilfe gem. Art. 108 Abs. 3 AEUV zur Durchführung eines Notifizierungsverfahrens unterrichtet. Der BFH hat in dem Verfahren II R 62/14 Zweifel geäußert, ob die Steuervergünstigung gem. § 6a GrEStG einen unzulässigen selektiven Vorteil dadurch verschafft, dass die Vorschrift nur für Umwandlungen, nicht aber auch für andere Umstrukturierungsmaßnahmen gilt (Hinweis: Das Vorlageverfahren bezieht sich auf das Streitjahr 2012, für das § 6a GrEStG noch nicht für Einbringungen galt), auf eine Beteiligungshöhe von mindestens 95 % abstellt und eine Mindesthaltedauer von fünf Jahren verlangt sowie, ob eine mögliche Beihilfe durch eine Korrektur des zu weit gefassten Referenzsystems gerechtfertigt sein könnte. Mit Beschluss vom 30.5.2017 setzte der BFH das Verfahren daher aus und legte dem EuGH gem. Art. 267 AEUV die Frage zur Vorabentscheidung vor, ob mit § 6a GrEStG eine verbotene Beihilfe iSd. Art. 107 Abs. 1 AEUV gegeben ist (BStBl. II 2017, 916). Auch die übrigen Revisionsverfahren zu § 6a GrEStG setzte der BFH bis zur Entscheidung des EuGH in dem Verfahren C-374/17 aus.

Erfreulicherweise betont der BFH entsprechend des Begünstigungszwecks des § 6a GrEStG nochmals ausdrücklich seine weite Auslegung. Die streitigen Auslegungsfragen im Rahmen des § 6a GrEStG würden sich jedoch für den Fall der Bejahung des schädlichen Beihilfecharakters erübrigen. Die Konsequenzen dürfen nicht unterschätzt werden. Die nachträgliche Identifizierung als unzulässige Beihilfe würde dazu führen, dass Deutschland die nicht notifizierte Beihilfe - ggf. zuzüglich Zinsen - grds. zurückfordern muss. Dies gilt auch für bereits bestandskräftig veranlagte sowie festsetzungsverjährte Grunderwerbsteuerfälle. Vertrauensschutz kommt in aller Regel nicht in Betracht.

IV. Schlussanträge des Generalanwalts

Im Ergebnis geht es um die Balance zwischen mitgliedstaatlicher Steuersouveränität und dem unionsrechtlichen Schutz eines unverzerrten Wettbewerbs. Am 11.6.2018 fand die mündliche Verhandlung vor dem EuGH statt. Im Anschluss daran veröffentlichte der Generalanwalt beim EuGH, H. Saugmandsgaard Øe, am 19.9.2018 seine Schlussanträge (nv., juris). Derr Generalanwalt schlägt vor, Art. 107 Abs. 1 AEUV dahin auszulegen, dass eine Steuerbegünstigung wie die im Ausgangsrechtsstreit in Rede stehende, eine allgemeine Maßnahme darstellt und folglich nicht als staatliche Beihilfe einzustufen ist. Mit Blick auf die mitgliedstaatliche Steuersouveränität plädiert der Generalanwalt für eine - im Gegensatz zum dreistufigen Prüfungsschema - klassische Methode der Selektivitätsprüfung als eine weniger invasive Prüfungsmethode. Demnach gelte es zu prüfen, ob gewisse Unternehmen oder gewisse Wirtschaftszweige von der Inanspruchnahme eines nationalen Steuervorteils unwiderruflich ausgeschlossen sind. Ob dieser durch den Generalanwalt ins Spiel gebrachte Prüfungsansatz Licht ins Dunkel der Beihilfeprüfung bringen kann, mag bezweifelt werden. Er bringt - wenn auch dogmatisch zweifelhaft - jedenfalls den Zielkonflikt zwischen der nationalen Steuersouveränität und europäischer Einmischung auf den Punkt.

V. Das letzte Wort durch den EuGH

Es ist wohl nicht zu erwarten, dass der EuGH von seiner bisherigen Rechtsprechung zur Beihilfeprüfung unter Heranziehung des Drei-Stufen-Tests abrücken wird. Die - mE realistische - Hoffnung liegt vielmehr darin, dass der EuGH seiner Auffassung in der Rechtssache „Andres“ zur Beihilfeproblematik des § 8c Abs. 1a KStG (C-203/16 P, BB 2018, 2079) treu bleibt und ein wirkungsorientiertes Verständnis des Beihilferechts in den Vordergrund stellt. Demnach ist bei der Bestimmung des maßgeblichen Referenzsystems ein weiter Ansatz zu verfolgen. Es dürfe kein zu enges Regel-Ausnahme-Verhältnis festgelegt werden. Ein ähnlich weites Verständnis hat zuletzt auch die Europäische Kommission bei der Beihilfeprüfung der neu eingeführten § 3a EStG, § 7b GewStG zur Steuerbefreiung von Sanierungsgewinnen zugrunde gelegt.

Unter Zugrundelegung dieses weiten Verständnisses des Präferenzsystems liegt mE keine schädliche Beihilfe vor. Durch § 6a GrEStG sollen Vorgänge von der Grunderwerbsteuer befreit werden, bei denen das fragliche Grundeigentum bereits vorher wirtschaftlich der Muttergesellschaft zuzuordnen war. Wurde darüber hinaus bereits beim Erwerb Grunderwerbsteuer entrichtet, soll § 6a GrEStG eine wirtschaftliche Doppelbesteuerung innerhalb des Konzerns verhindern. Eine Vergleichbarkeit der nach § 6a GrEStG begünstigten Gruppen mit den nicht von § 6a GrEStG erfassten Gruppen ist damit nicht gegeben. Eine schädliche Beihilfe ist somit bereits auf erster Prüfungsstufe zu verneinen. Die Entscheidung des EuGH darf mit Spannung erwartet werden; nicht zuletzt deshalb, weil sie weiter Klarheit über die zukünftige Überprüfung nationaler Vorschriften am Maßstab verbotener Beihilfen bringen dürfte.