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Haftungsfalle Earn-Out-Klauseln und halber Steuersatz?

Grundsätzlich erfolgt im Rahmen des § 16 EStG die Ermittlung des Veräußerungsgewinns stichtagsbezogen auf den Veräußerungszeitpunkt nach dem Realisationsprinzip. Nach dem Realisationsprinzip ist der Veräußerungszeitpunkt derjenige Zeitpunkt, zu dem die eigene Leistung erbracht ist. Bei der Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften ist dies regelmäßig der Zeitpunkt des Übergangs des wirtschaftlichen Eigentums an den übertragenen Anteilen. Dieser Grundsatz der einheitlichen Versteuerung im Jahr des Übergangs des wirtschaftlichen Eigentums gilt selbst dann, wenn der Kaufpreis über mehrere Jahre in Raten zu zahlen ist. 

Änderung der Rechtsprechung zur zeitlichen Erfassung von Earn-Out-Zahlungen 

Zwischenzeitlich haben diese Grundsätze durch die neuere Rechtsprechung – und insbesondere durch die Entscheidung des BFH vom 19.12.2018 – eine wesentliche Modifikation erfahren: 

Nach den Feststellungen des FG Hamburg (FG Hamburg vom 19.9.2016 6 K 67/15, EFG 2016, 1987) und nachgehend des BFH (BFH vom 19.12.2018 I R 71/16, GmbHR 2019, 913 = GmbH-StB 2019, 212  (mit Anm. Trossen )) werden Earn-Out-Zahlungen zwar weiterhin als Veräußerungsgewinn behandelt; Sondervorschriften (zB §§ 16 iVm. § 34 EStG, § 17 EStG , § 8b Abs. 2, 3 KStG) bleiben damit anwendbar.

Ihre Erfassung erfolgt in zeitlicher Hinsicht aber abweichend von den allgemeinen Grundsätzen erst in demjenigen Jahr des Zuflusses, indem – so das FG und der BFH – der Anspruch auf die Earn-Out-Zahlung berechnet werden kann und entsteht. 

Ausgehend von dieser Rechtsprechung werden damit ein fixer Kaufpreis einerseits und ein in einem Jahr nach dem wirtschaftlichen Übergang der Anteile erstmals berechenbarer Earn-Out in unterschiedlichen Veranlagungszeiträumen anderseits besteuert.

Beispiel: Aufgrund des Unternehmenskaufvertrags vom 26.11.2021 geht das wirtschaftliche Eigentum an den Anteilen der gewerblich geprägten X GmbH & Co. KG am 31.12.2021 über. Vereinbart ist ein Fix-Kaufpreis iHv. € 2.000.000,--, der zum 31.5.2022 fällig wird, sowie ein Earn-Out, der sich nach dem 7,5-fachen des durchschnittlichen EBIT der Geschäftsjahre 2022 und 2023 richtet, sofern und soweit in diesen Jahren ein durchschnittlicher Mindest-EBIT von € 350.000,-- überschritten wird und der im Jahr 2024 fällig wird. 

Lösung: Nach der neuen Rechtsprechung dürfte es sich sowohl beim Fix-Kaufpreis als auch beim Earn-Out um Veräußerungserlöse handeln, die nach § 16 EStG zu versteuern sind. Allerdings werden der Fix-Kaufpreis iHv. € 2.000.000,-- im Veranlagungszeitraum 2021 und der auf den EBIT 2022 und 2023 bezogene, in 2024 fällig werdende Earn-Out, dessen Entstehung in 2021 noch dem Grunde wie der Höhe nach ungewiss ist. im Veranlagungszeitraum 2024 besteuert. 

Beachten Sie: Zwischenzeitlich hat sich ua. auch das FG Rheinland-Pfalz (FG Rheinland-Pfalz vom 30.3.2021 5 K 2442/17, EFG 2021, 1199) dieser Sichtweise angeschlossen, wegen nicht abschließend in der Rechtsprechung geklärter Rechtsfragen aber nochmals die Revision zum BFH (Az. des BFH: IV R 9/21) zugelassen (vgl. dazu unseren Newsletter steueranwalt.de/news/steuertipps_beim_verkauf_von_gmbh_co_kg_anteilen_tipp2/.

Wegfall der für den „halben Steuersatz“  erforderlichen Zusammenballung bei Earn-Out? 

Werden ein Betrieb oder Mitunternehmeranteile veräußert und wird – wie oben beschrieben – neben dem sofort fälligen fixen Kaufpreis zusätzlich ein im nachfolgenden Jahr nach dem Übergang der Anteile entstehender und überhaupt erstmals berechnungsfähiger Earn-Out vereinbart, soll es mit Blick auf den „halben Steuersatz“  iSd. § 34 Abs. 3 EStG nach Stimmen in der Literatur, die auf die allgemeine Rechtsprechung zu § 34 EStG Bezug nehmen (BFH vom 27.3.2009 VIII B 184/08, BStBl. II 2009, 850 = EStB 2009, 158 (mit Anm. Meurer ); BFH vom 6.9.2000 XI R 19/00, BFH/NV 2001, 431; BFH vom 19.10.2005 XI R 24/04, BFH/NV 2006, 928; MELLINGHOFF in Kirchhof/Seer, EStG, 20. Aufl. 2021, § 34 EStG Rz. 10; BÖTTCHER, GStB 2020, 140 ff.; MÜLLER/DORN/SCHWARZ, NWB 2017, 2906), –  bezogen auf den Earn-Out an der sogenannten „Zusammenballung“  des Veräußerungsgewinns in  einem einzigen Veranlagungszeitraum fehlen. Richtig ist daran, dass nach der allgemeinen Rechtsprechung zu § 34 Abs. 3 EStG mit wenigen Ausnahmen stets gefordert wird, dass Voraussetzung für den halben Steuersatz die Besteuerung des gesamten Veräußerungsgewinns in einem einzigen Veranlagungszeitraum sei. Der Earn-Out unterliegt, soweit er nach oben dargestellten Grundsätzen erst in einem späteren Veranlagungszeitraum besteuert wird, nach diesen Ansichten nicht dem halben Steuersatz. Zum Teil wird sogar vertreten, dass in diesen Fällen der halbe Steuersatz für den gesamten Kaufpreis, dh. auch für den Kaufpreisanteil entfallen soll, der bereits im Jahr des Übergangs des wirtschaftlichen Eigentums entsteht.

Stellungnahme: ME sprechen überzeugend Gründe dafür, dass in diesen Earn-Out-Fällen das Erfordernis der „Zusammenballung“  entfällt (so auch: POHL in Lippross/Seibel, Basiskommentar Steuerrecht, § 34 EStG Rz. 13 (Febr. 2021)). Zum einen ist das Erfordernis der „Zusammenballung“  im Wortlaut des § 34 EStG nicht enthalten. Zum anderen hat der BFH die entsprechenden Zahlungen im Urteil vom 19.12.2018 als Teil des Veräußerungsentgelts iSd. §§ 16, 17 EStG qualifiziert. Schließlich wird im Rahmen eines Anteilskaufs – die ggf. auch über mehrere Jahre gestaffelte Kaufpreiszahlung – eine vieljährige Renditeerwartung eingepreist, die sich bei Berechnung des Unternehmens-(Ertrags)werts und damit des Kaufpreises wiederspiegelt. Insofern sind bei der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise stets auch in Einzelkomponenten wie eines Earn-Outs Abgeltungswirkungen der abgekauften Ertragserwartung für viele Jahre enthalten. 
Beraterhinweis: Sicher ist die vorstehend geschilderte diesseitige Sichtweise mit Blick auf die in die gegenteilige Richtung weisende bisherige BFH-Rechtsprechung zu § 34 Abs. 3 EStG keinesfalls (weitergehend: WOLLWEBER, GmbH-StB 2021, 353-356). Ggf. muss in solchen Fällen mit der Einholung einer verbindlichen Auskunft oder mit Fix-Kaufpreisen mit nachträglichem Anpassungsmechanismus gearbeitet werden.

Dr. Markus Wollweber
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht
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