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Ernstliche Zweifel an der Höhe der Säumniszuschläge

I. Säumniszuschläge sind grundsätzlich dann zu entrichten, wenn eine Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages entrichtet wird (§ 240 Abs. 1 Satz 1 AO). Die Höhe der Säumniszuschläge beträgt für jeden angefangenen Monat der Säumnis 1 % des abgerundeten rückständigen Steuerbetrags, mithin 12 % im Jahr. 

II. Nach herrschender Auffassung kommt den Säumniszuschlägen eine Doppelfunktion zu: Einerseits sollen sie als Druckmittel den Steuerpflichtigen zur rechtzeitigen Zahlung anzuhalten. Andererseits haben sie (auch) eine zinsähnliche Funktion. Sie dienen als Gegenleistung bzw. Ausgleich für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern (BFH vom 24.4.2014 V R 52/13, BStBl. II 2015, 106; KOENIG in Koenig, AO, 4. Aufl., 2021, § 240 Rz. 3; RÜSKEN in Klein, AO, 15. Aufl., 2020, § 240 Rz. 1; vgl. hierzu auch unseren Newsletter vom 5.4.2019, steueranwalt.de/news/verfassungswidriger-zinsanteil-in-saeumniszuschlaegen).

III. Bereits in der Vergangenheit hatte der BFH ernstliche Zweifel an der Höhe des in den Säumniszuschlägen enthaltenen Zinsanteils geäußert (siehe nur BFH vom 26.5.2021 VII B 13/21, BFH/NV 2022, 209). Nach Auffassung des VII. Senats des BFH gelte dies bereits für die Jahre ab 2012.

IV. Durch die Entscheidung des BVerfG zur Verfassungswidrigkeit der Zinshöhe der Vollverzinsung hat die Diskussion erneut Fahrt aufgenommen. Das BVerfG hatte in seiner Entscheidung vom 8.7.2021 (1 BvR 2237/14, BVerfGE 158, 282) klargestellt, dass die Zinshöhe nach § 233a iVm. § 238 AO iHv. 6 % pro Jahr verfassungswidrig sei, soweit sie auf Verzinsungszeiträume ab dem 1.1.2014 zur Anwendung gelangt. Aufgrund einer Fortgeltungsanordnung für die Verzinsungszeiträume bis zum 31.12.2018 ist der (verfassungswidrige) Zinssatz allerdings erst für Verzinsungszeiträume ab dem 1.1.2019 nicht mehr anwendbar. Ob sich dies auch auf Säumniszuschläge übertragen lässt, hatte das BVerfG nicht ausdrücklich entschieden. Vielmehr bedürfe es für die weiteren Zinstatbestände der AO – insb. § 240 AO – einer eigenständigen verfassungsrechtlichen Würdigung. 

V. Diese Wertung hat der V. Senat des BFH in seiner aktuellen Entscheidung vom 23.5.2022 V B 4/22, nv (juris), auf die Höhe der Säumniszuschläge übertragen. Es beständen ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit von Säumniszuschlägen (insgesamt), soweit diese nach dem 31.12.2018 entstanden sind. Insoweit schränkt der V. Senat seine Bedenken im Vergleich zu früheren Entscheidungen in zeitlicher Hinsicht ein. Eine Erstreckung auf frühere Zeiträume sei mit Blick auf die Entscheidung des BVerfG (aaO) überholt. Hinsichtlich des sachlichen Umfangs geht er indes über seine früheren Entscheidungen hinaus. Während in der Vergangenheit allein die Zinsfunktion der Säumniszuschläge verfassungsrechtlichen Zweifeln unterlag, gelte dies nunmehr auch für die Druckfunktion. Da die gesetzlich festgelegte Höhe der Säumniszuschläge nur insgesamt verfassungsgemäß oder -widrig sein könne, da es keine Teilverfassungswidrigkeit in Bezug auf einen bestimmten Zweck einer Norm gebe, erfassten die ernstlichen Zweifel die gesamte Höhe der Säumniszuschläge.

VI. Praxishinweis: Die aktuelle Entscheidung des V. Senats des BFH ist für den Steuerpflichtigen ein „zweischneidiges Schwert“. Einerseits weicht der V. Senat in zeitlicher Hinsicht – im Anschluss an die Rechtsprechung des BVerfG – zum Nachteil des Steuerpflichtigen von der bisherigen Linie ab und sieht verfassungsrechtliche Zweifel erst hinsichtlich solcher Säumniszuschläge, die nach dem 31.12.2018 entstanden sind. Da die Entscheidung des V. Senats im vorläufigen Rechtsschutz erging, steht eine endgültige Entscheidung insoweit noch aus. Ferner ist abzuwarten, ob sich die weiteren Senate des BFH – insbesondere der VII. – dieser Position anschließen. Positiv für den Steuerpflichtigen ist allerdings, dass der V. Senat nunmehr auch die Druckfunktion der Säumniszuschläge verfassungsrechtlichen Zweifeln unterwirft. Während in der Vergangenheit die Finanzämter unter Verweis auf die Doppelfunktion nur anteilig die Aussetzung der Vollziehung gewährt haben, wird sich dies in Zukunft nicht mehr aufrechterhalten lassen. Insoweit empfiehlt es sich, in allen offenen Verfahren die verfassungsrechtlichen Bedenken geltend zu machen. Da die Säumniszuschläge grundsätzlich nicht festgesetzt werden, ist hierzu ein Abrechnungsbescheid nach § 218 AO zu beantragen. Ein Einspruch gegen den Abrechnungsbescheid kann mit der Verfassungswidrigkeit der Säumniszuschläge begründet werden (vgl. hierzu unseren Newsletter vom 19.2.2021, steueranwalt.de/news/geltendmachung-der-verfassungswidrigkeit-von-saeumniszuschlaegen).
 

Dr. Torben Gravenhorst
Rechtsanwalt
Associate
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