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BFH: Wirksame Bekanntgabe an einen Bevollmächtigten trotz Widerrufs der Vollmacht
Für die wirksame Bekanntgabe eines an einen Bevollmächtigten adressierten schriftlichen Verwaltungsakts, der im Inland durch die Post übermittelt wird und diesem tatsächlich zugeht, ist nicht erforderlich, dass die Außenvollmacht des Bevollmächtigten im Zeitpunkt der Bekanntgabe nach der Zugangsvermutung in § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO noch besteht. Dies hat der BFH aktuell mit Urteil vom 8.2.2024 VI R 25/21 entschieden. Liegt im Zeitpunkt der letzten Behördenhandlung, also im Zeitpunkt der Aufgabe des Verwaltungsakts zur Post, eine Vollmacht vor oder wird deren Vorliegen vermutet und geht der Verwaltungsakt dem Bevollmächtigten auch tatsächlich zu, kann eine wirksame Bekanntgabe und ein daran anknüpfender Fristlauf nicht mehr durch einen Widerruf der Vollmacht verhindert werden.
I. Sachverhalt
1. Das Finanzamt führte bei der Steuerpflichtigen im Jahr 2019 eine Außenprüfung durch. Die Prüfungsanordnung wurde an den als Bevollmächtigten hinterlegten Steuerberater übersandt. Da der Bevollmächtigte seine Steuerberatungskanzlei in der Folgezeit mit einer weiteren Kanzlei in der Rechtsform der GmbH & Co. KG zusammenlegte, speicherte das Finanzamt im März 2020 die KG als neue Bevollmächtigte der Steuerpflichtigen und adressierte die aufgrund der Außenprüfung erlassenen Änderungsbescheide an die KG. Daraufhin legte die KG jeweils Einspruch gegen die Änderungsbescheide ein, ohne diese weiter zu begründen. Mit Einspruchsentscheidung vom 30.9.2020 (Aufgabe zur Post am selben Tag) wies das Finanzamt die Einsprüche als unbegründet zurück. Die Einspruchsentscheidung war an die KG als Bevollmächtigte adressiert.
2. Mit Schreiben vom 2.10.2020, welches am selben Tag beim Finanzamt einging, sandte die KG die Einspruchsentscheidung unter Hinweis auf die inzwischen erloschene Vollmacht zur Vertretung in Steuersachen an das Finanzamt zurück. Das Finanzamt gab daher wenige Tage später eine unmittelbar an die Klägerin adressierte Ausfertigung der Einspruchsentscheidung zur Post. Zudem übersandte das Finanzamt Anfang Dezember 2020 dem neu mandatierten Bevollmächtigten eine Kopie der Einspruchsentscheidung.
3. Die von der Steuerpflichtigen am 4.1.2021 erhobene Klage wies das Finanzgericht Münster wegen Nichtwahrung der Klagefrist als unzulässig ab (FG Münster vom 3.11.2021 6 K 24/21, EFG 2022, 217). Mit der anschließenden Revision rügte die Steuerpflichtige die Verletzung materiellen Rechts. Die Klagefrist sei gewahrt worden, da für den Beginn des Fristlaufs auf die Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung an den neuen Bevollmächtigten im Dezember 2020 abzustellen sei.
II. Rechtliche Einordnung
1. Die Frist für die Erhebung der Anfechtungsklage beträgt gem. § 47 Abs. 1 Satz 1 FGO einen Monat und beginnt mit der Bekanntgabe der Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf, dh. mit Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung. Ein Verwaltungsakt ist gem. § 122 Abs. 1 Satz 1 AO gegenüber demjenigen bekannt zu geben, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird. Da der Verwaltungsakt gem. § 122 Abs. 1 Satz 3 AO auch gegenüber einem Bevollmächtigten bekannt gegeben werden kann, steht es im Ermessen der Finanzbehörde, ob sie den Verwaltungsakt an den Beteiligten oder an dessen Bevollmächtigten bekannt gibt. Bei einer Übermittlung durch die Post gilt der Verwaltungsakt gem. § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO grundsätzlich am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben (Zugangsvermutung).
2. Lässt sich ein Beteiligter durch einen Bevollmächtigten vertreten, ermächtigt die Vollmacht gem. § 80 Abs. 1 Satz 2 AO zu allen das Verwaltungsverfahren betreffenden Verfahrenshandlungen, sofern sich aus ihrem Inhalt nicht etwas anderes ergibt. Wird die Vollmacht widerrufen, wird der Widerruf der Finanzbehörde gegenüber gem. § 80 Abs. 1 Satz 3 AO erst wirksam, wenn er ihr zugeht. Das Finanzamt kann daher bis zum Zeitpunkt des Zugangs des Widerrufs noch wirksam Verfahrenshandlungen gegenüber dem Bevollmächtigten vornehmen.
3. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, auf welchen Zeitpunkt konkret abzustellen ist. Denn in dem vom BFH entschiedenen Fall besteht die Besonderheit, dass die Finanzbehörde die Kenntnis von dem Widerruf der Vollmacht durch die KG zwar erst zeitlich nach der Aufgabe der Einspruchsentscheidung zur Post durch das bei ihr am 2.10.2020 eingegangene Schreiben der KG erlangte, dieser Zeitpunkt aber noch vor dem vermuteten Bekanntgabezeitpunkt nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO lag.
III. Entscheidung des BFH
1. Der BFH wies die Revision der Steuerpflichtigen als unbegründet zurück. Nach seiner Entscheidung hat das FG Münster die Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen, da die ursprüngliche Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung an die KG wirksam war und die Steuerpflichtige die Klage erst nach Ablauf der einmonatigen Klagefrist erhoben hat.
2. Das Finanzamt durfte im Zeitpunkt der Absendung der Einspruchsentscheidung noch von einer ordnungsgemäßen Bevollmächtigung der KG ausgehen. Die Bevollmächtigung der KG für die Durchführung des Einspruchsverfahrens kann vorliegend jedenfalls vermutet werden, da sie die Einsprüche für die Steuerpflichtige eingelegt hat und dadurch in diesem Verfahren tätig geworden ist. Zudem hielt sich die Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung vom 30.9.2020 an die KG aufgrund ihres Auftretens im Einspruchsverfahren im Rahmen einer sachgerechten Ermessensausübung.
3. Da das Finanzamt die Einspruchsentscheidung am 30.9.2020 zur Post gegeben hat, gilt sie der KG gem. § 122 Abs. 2 Nr. 1, § 108 Abs. 3 AO als am Montag, den 5.10.2020, wirksam bekannt gegeben. Die einmonatige Klagefrist war daher zum Zeitpunkt der Klageerhebung am 4.1.2021 bereits abgelaufen.
4. Der Bekanntgabevermutung steht nach der Entscheidung des BFH vorliegend nicht entgegen, dass das Finanzamt nur kurze Zeit nach Aufgabe der Einspruchsentscheidung zur Post durch das bei ihm am 2.10.2020 eingegangene Schreiben von dem Widerruf der Vollmacht durch die KG, Kenntnis erlangt hat. Denn maßgebend ist allein der Zeitpunkt der letzten Behördenhandlung, dh. hier der Zeitpunkt der Aufgabe der Einspruchsentscheidung zur Post. Die wirksame Bekanntgabe eines an einen Bevollmächtigten adressierten Verwaltungsakts, der durch die Post übermittelt wird, ist daher entgegen der Auffassung der Steuerpflichtigen nicht davon abhängig, dass die Vollmacht auch bei Ablauf der Frist des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO noch besteht.
5. Der BFH begründet dies zum einen mit dem Wortlaut des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO, wonach die Bekanntgabe des Verwaltungsakts am dritten Tag nach Aufgabe zur Post ohne weitere tatbestandliche Voraussetzungen vermutet wird. Zum anderen ergibt sich dies aus dem Sinn und Zweck des § 80 Abs. 1 Satz 3 AO, da diese Regelung der Rechtssicherheit des Finanzamts dienen soll und sich die Behörde auf eine erteilte Vollmacht verlassen können soll, bis ihr ein Widerruf der Vollmacht zugeht. Zudem ist auch für die gerichtliche Überprüfung der Ermessensentscheidung nach § 122 Abs. 1 Satz 3 AO stets auf den Zeitpunkt der letzten Verwaltungshandlung abzustellen und später eintretende Umstände für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ermessensausübung regelmäßig nicht mehr heranzuziehen.
Beraterhinweis
Im Hinblick auf den Zugang eines Widerrufs der Vollmacht ist allein auf den Zeitpunkt der letzten Behördenhandlung abzustellen. Liegt zu diesem Zeitpunkt eine Vollmacht vor, kann die Finanzbehörde wirksam Verfahrenshandlungen gegenüber dem Bevollmächtigten vornehmen. Daher ist die Wirksamkeit der Bekanntgabe sowie der Ablauf von Einspruchs- bzw. Klagefristen in diesen Fällen besonders sorgfältig zu prüfen.