Kontaktieren Sie uns gerne!

Der Zehnt Aktuell
Mit unserem wöchentlichen Newsletter informieren wir Sie im Bereich Steuerrecht über aktuelle Themen, Entscheidungen und Kanzlei-News.
Auch der schlechte Unternehmer ist ein Unternehmer
Allein aufgrund von defizitären Tätigkeiten kann umsatzsteuerlich die Unternehmereigenschaft nicht negiert werden. Dies hat der EuGH in seinem jüngsten Urteil vom 4.7.2024 (C-87/23 „Latvijas Informācijas un komunikācijas tehnoloģijas asociācija“) klargestellt. Die Entscheidung erging zwar zum Non-Profit-Bereich, ist aber darüber hinaus generell für alle Unternehmer im umsatzsteuerlichen Sinne von Bedeutung.
Dieses EuGH-Urteil überzeugt und ist wie folgt einzuordnen:
Bereits jede nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen, dh. die Erbringung von Leistungen gegen Entgelt, begründet die Unternehmereigenschaft im Umsatzsteuerrecht, auch wenn die Absicht, Gewinne zu erzielen, fehlt (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 3 UStG). Es gilt somit im Grundsatz: Auch der schlechte Unternehmer ist ein Unternehmer.
Gleichwohl hatte der EuGH in der Vergangenheit in Einzelfällen wiederholt die unternehmerische Tätigkeit – dh. die wirtschaftliche Tätigkeit gemäß Art. 9 Abs. 1 MwStSystRL – insbesondere von NPO und der öffentlichen Hand wegen deren hochdefizitären Tätigkeiten in Zweifel gezogen (vgl. zB EuGH vom 12.5.2016 - C-520/14 „Gemeente Borsele“, DStRE 2016, 798; EuGH vom 30.3.2023 - C-612/21 „Gmina O.“, DStRE 2023, 876). Dies führte in der Praxis zu Verunsicherungen. Mit dem jüngsten Urteil vom 4.7.2024 hat der EuGH das wieder zurechtgerückt und damit wieder für mehr Rechtssicherheit gesorgt.
In dem dieser Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt hatte ein nach lettischem Recht gemeinnütziger Verein unter Einbindung von Subunternehmern Aus- und Fortbildungsprojekte angeboten und durchgeführt. Diese Projekte hatte der Verein – vereinfacht formuliert – nur zu 30 % aus Entgelten der Kursteilnehmer und zu 70 % aus europäischen Fondsmitteln (Subventionen) finanziert. Die in den Rechnungen der Subunternehmer ausgewiesene Umsatzsteuer machte der Verein als abzugsfähige Vorsteuer geltend. Die lettische Steuerverwaltung versagte den Vorsteuerabzug mit der Begründung, der gemeinnützige Verein sei kein Wirtschaftsteilnehmer und es fehle die Gewinnerzielungsabsicht im Rahmen der hiesigen Projekttätigkeit.
Der EuGH folgt dem nicht und stellt in aller Deutlichkeit in seinem Urteil vom 4.7.2024 klar: Eine Einrichtung ohne Gewinnerzielungsabsicht - wie hier der (nach lettischem Recht) gemeinnützige Verein im Streitfall – kann ein Unternehmer sein. Ferner ist die Rentabilität der Tätigkeit, so der EuGH weiter, für die Beurteilung der umsatzsteuerlichen Unternehmereigenschaft generell nicht entscheidend, so dass auch eine dauerhaft defizitäre Tätigkeit eine wirtschaftliche – dh. unternehmerische – Tätigkeit darstellt, wenn die (defizitäre) Tätigkeit mit der typischen Tätigkeit eines Wirtschaftsteilnehmers aus demselben Wirtschaftszweig vergleichbar ist. Dies bejaht der EuGH im Streitfall. Allgemeine Kriterien zur Beurteilung dieser Vergleichbarkeit werden im EuGH-Urteil vom 4.7.2024 aufgezeigt, wobei es in der Natur der Sache liegt, so der EuGH, dass hierfür eine Beurteilung von Fall zu Fall vorzunehmen ist.
Nur kurz nimmt der EuGH in seinem Urteil vom 4.7.2024 ergänzend Stellung zu dem nicht weniger praxisrelevanten Thema des umsatzsteuerbaren Drittentgelts: Auch zweckgebundene Zuschüsse zur Finanzierung einer konkreten Ausgangstätigkeit von NPO können in die umsatzsteuerliche Bemessungsgrundlage als Drittentgelt iSd. Art. 73 MwStSystRL einzubeziehen sein. Im konkreten Entscheidungsfall nahm dies der EuGH an. Rechtsgrundlage hierfür ist im deutschen Recht § 10 Abs. 1 Satz 2 UStG. Zu beachten bleibt jedoch: Allein eine Zahlung lediglich zur Förderung der Tätigkeit des Zahlungsempfängers (zB eines gemeinnützigen Vereins) allgemein aus strukturpolitischen, volkswirtschaftlichen oder allgemeinpolitischen Gründen genügt für sich genommen nicht, um ein steuerbares (Dritt-)Entgelt anzunehmen (vgl. BFH vom 18.11.2021 – V R 17/20, BStBl. II 2024, 492). Nichts anderes folgt aus dem EuGH-Urteil vom 4.7.2024. Damit können insbesondere Vereine von der öffentlichen Hand weiterhin nicht steuerbare Zuschüsse vereinnahmen.
Weitere Praxishinweise
Bei Vorliegen eines steuerbaren Drittentgelts ist stets noch eine Umsatzsteuerbefreiung zu prüfen. Im Bereich der Bildung, wie hier im Streitfall des EuGH-Urteils vom 4.7.2024, sind mit Wirkung ab dem 1.1.2025 weitreichende Änderungen im UStG durch das Jahressteuergesetz 2024 geplant. So soll zB zukünftig zwischen Aus- und Fortbildung zu unterscheiden sein: Nur noch Einrichtungen ohne Gewinnstreben sollen steuerfreie Fortbildungsleistungen erbringen können, wobei zu den Einrichtungen ohne Gewinnstreben ua. gemeinnützige und nicht gemeinnützige Körperschaften gehören können, wohingegen für steuerfreie Ausbildungsleistungen es auch zukünftig keiner Einrichtung ohne Gewinnstreben bedarf (vgl. im Einzelnen ESTEVES GOMES, UR 2024, S. 517, 520 ff., mit kritischen Anmerkungen).
Bei Vorliegen von steuerpflichtigen Ausgangsleistungen kann es gleichwohl zur (anteiligen) Versagung des Vorsteuerabzugs kommen, falls andere Motive als die Nutzungsabsicht der bezogenen Eingangsleistung für steuerpflichtige Ausgangsleistungen bestehen. Solche vorsteuerschädlichen Motive sind aber auch bei NPO nicht ohne Weiteres zu unterstellen, sondern konkret im Einzelfall seitens der Finanzbehörde nachzuweisen. Allein der Nachweis einer defizitären Tätigkeit genügt hierfür uE auch unter Berücksichtigung des EuGH-Urteils vom 4.7.2024 nicht, obgleich der EuGH mangels Vorlagefrage in seinem Urteil vom 4.7.2024 hierüber nicht zu entscheiden hatte.
Die Vorsteuerabzugsberechtigung von NPO bleibt somit in der Praxis weiterhin ein umsatzsteuerlicher Brennpunkt. Die nächste höchstrichterliche Entscheidung hierzu steht bereits an: Der BFH hat in einem jüngst anhängigen Revisionsverfahren zum Az. BFH XI R 8/24 (Vorinstanz: FG Berlin-Brandenburg vom 23.8.2022 – 2 K 2115/19) darüber zu entscheiden, ob der 10%ige Mindestumfang der unternehmerischen Nutzung von Gegenständen nach § 15 Abs. 1 Satz 2 UStG für eine Vorsteuerabzugsberechtigung unionsrechtskonform ist. Eine Einbindung des EuGH bei dieser Entscheidungsfindung scheint ebenfalls unumstößlich.