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Verfassungswidrig: Zu hohe BFH-Maßstäbe zur Begründung der NZB

Unser Kollege Dr. Martin Wulf hatte bereits in unserem Blogbeitrag vom 20.3.2025 auf das Urteil des BVerfG vom 21.2.2025 (1 BvR 2267/23, juris) aufmerksam gemacht. Die Nichtzulassungsbeschwerde im finanzgerichtlichen Verfahren ist ein Nadelöhr und hat nur in seltenen Fällen Erfolg. Laut dem Jahresbericht 2024 des BFH liegt im Verhältnis Steuerpflichtiger zur Verwaltung die Erfolgsquote bei den Nichtzulassungsbeschwerden bei lediglich 14 % (Vorjahr: 15 %). Die Anforderungen des BFH sind streng, Fehler in der Sachverhaltswürdigung oder rechtlichen Subsumption können nur sehr eingeschränkt geltend gemacht werden. Im o.g. Fall waren Anforderungen des BFH an die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde allerdings zu hoch, wie das BVerfG entschied. Es gab einer Verfassungsbeschwerde statt, weil im Beschwerdeverfahren das Gebot des effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG verletzt wurde.

 

I. Zum Hintergrund

Die Beschwerdeführerin wandte sich gegen die Körperschaftsteuer- und Gewerbesteuermessbescheide für 2013 und begehrte erfolglos die Berücksichtigung eines Aufwands aus einer Schuldübernahmeverpflichtung für eine Pensionszusage an ihren Geschäftsführer. Nachdem die Klage vom FG Düsseldorf abgewiesen wurde, legte sie Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ein. Sie machte u.a. eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO mit dem Argument geltend, der „starre“ Rechnungszinsfuß von 6 % für die Verzinsung von Pensionsrückstellungen in § 6a Abs. 3 Satz 3 EStG verstoße gegen den Allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG.

 

II. Grundsätze zum Begründungserfordernis einer Nichtzulassungsbeschwerde

Mit der Nichtzulassungsbeschwerde wird nach § 116 FGO die Nichtzulassung der Revision angefochten. Ziel ist es, den BFH zu überzeugen, dass das Finanzgericht fehlerhaft die Revision nicht zugelassen hat. Anders als die Revision, bei der Rechtsfehler des angefochtenen finanzgerichtlichen Urteils aufgezeigt werden, soll bei der Nichtzulassungsbeschwerde die Zulassungsschranke nach § 115 Absatz 2 FGO überwunden werden.

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist begründet, wenn nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO die Zulassungsvoraussetzungen für eine Revision iSd. § 115 Absatz 2 FGO dargelegt werden können. Verstöße gegen die Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO haben idR die Unzulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde zur Folge. Nach der Rechtsprechung des BFH bedeutet „darlegen“ iSd. § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO, dass die Voraussetzungen der jeweiligen Zulassungsvorschrift vom Beschwerdeführer in der Begründung seiner Nichtzulassungsbeschwerde substantiiert und schlüssig vorgetragen werden.

Der Begründung muss mindestens zu entnehmen sein, auf welchen Zulassungsgrund die Beschwerde gestützt wird. Zwar soll die ausdrückliche Angabe des Zulassungsgrunds nicht zwingend erforderlich sein. Es müssen jedenfalls die in dieser Vorschrift genannten Tatbestandsmerkmale in der Beschwerdebegründung näher erläutert werden. Die Begründung sollte klar und verständlich sein, sie erfordert substanzielle und konkrete Angaben darüber, weshalb der behauptete Revisionszulassungsgrund vorliegt. Zudem sollte sie sich zumindest rudimentär und konkret mit der tragenden Begründung des angefochtenen Urteils befassen und sich mit der Rechtsprechung des BFH, Äußerungen im Schrifttum sowie ggf. Verwaltungsmeinungen auseinandersetzen.

 

III. Angefochtene Entscheidung des BFH

Der BFH hat die Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen und hinsichtlich des Revisionsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung das Fehlen hinreichender Substantiierung bemängelt.

Die Nichtzulassungsbeschwerde hätte Darlegungen dazu enthalten müssen, dass eine normverwerfende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wegen einer Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes zu einer rückwirkenden Neuregelung des beanstandeten Gesetzes oder zumindest zu einer Übergangsregelung für alle noch offenen Fälle führen werde. Neben Ausführungen zur Frage der Vergleichbarkeit der Verzinsungsregelung des § 6a Abs. 3 Satz 4 EStG zu § 233a Abs. 1 Satz 1 iVm. § 238 Abs. 1 Satz 1 AO wären auch entsprechende Ausführungen zu der zu erwartenden Entscheidung des BVerfG und ihren gesetzlichen Folgen erforderlich gewesen, weil dem Gesetzgeber wegen seines weiten Gestaltungsspielraums in Masseverfahren des Steuer- und Sozialrechts verschiedene Möglichkeiten zur Behebung einer sachlich nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung zur Verfügung stünden.

 

IV. Verfassungsrechtliche Maßstäbe zum Darlegungserfordernis

Gegen die hohen Anforderungen des BFH zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde bestehen verfassungsrechtliche Bedenken.

Zwar folgt nach der Rechtsprechung des BVerfG aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG kein Anspruch auf die Errichtung eines bestimmten Instanzenzugs. Hat der Gesetzgeber aber mehrere Instanzen geschaffen, darf der Zugang zu ihnen nicht in unzumutbarer und durch Sachgründe nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden. Dies gilt auch dann, wenn das Prozessrecht den Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit gibt, die Zulassung eines Rechtsmittels zu erstreiten. Demzufolge dürfen die Anforderungen an die Begründung eines Zulassungsantrags nicht überspannt werden. Vielmehr müssen sie von einem durchschnittlichen, nicht auf das gerade einschlägige Rechtsgebiet spezialisierten Rechtsanwalt mit zumutbarem Aufwand erfüllt werden können. Das Rechtsmittelgericht darf ein von der jeweiligen Prozessordnung eröffnetes Rechtsmittel nicht ineffektiv machen und für den Beschwerdeführer „leerlaufen“ lassen. Diese Anforderungen gelten sowohl für die Auslegung und Anwendung als auch für die Darlegung der Zulassungsgründe.

Unvereinbar mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes ist eine Auslegung und Anwendung der Zulassungsgründe, wenn sie sachlich nicht zu rechtfertigen ist, sich damit als objektiv willkürlich erweist und den Zugang zur nächsten Instanz unzumutbar erschwert.

 

V. Korrektur durch Entscheidung des BVerfG

Das BVerfG widersprach der Auffassung des BFH und hielt die Anforderungen für überzogen.

Diese Anforderungen sind verfehlt, wenn Verfahrensbeteiligten Darlegungen zu in der Zukunft liegenden Umständen abverlangt werden, deren Eintritt ungewiss und zu denen ihnen eine belastbare Prognose nicht möglich ist. In einem solchen Fall – wie vorliegend – wird Art. 19 Abs. 4 GG verletzt, wenn zur Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde wegen grundlegender Bedeutung im finanzgerichtlichen Revisionsverfahren die Darlegung verlangt wird, dass die Verwerfung einer entscheidungserheblichen Norm durch das BVerfG zu einer rückwirkenden Neuregelung des beanstandeten Gesetzes oder zumindest zu einer Übergangsregelung für alle noch offenen Fälle führen werde. Eine solche Antizipation wird nicht einmal von der Begründung einer Richtervorlage im Verfahren der konkreten Normenkontrolle verlangt. Entsprechende Darlegungsanforderungen sind daher selbst dann nicht sachlich gerechtfertigt, wenn das BVerfG zu möglicherweise ähnlich gelagerten Fallkonstellationen eine Norm (nur) als mit dem GG unvereinbar erklärt hat. Dass der BFH iRd. Nichtzulassungsbeschwerde bei Geltendmachung grundsätzlicher Bedeutung infolge eines Verfassungsverstoßes vom Rechtsschutzsuchenden mehr abverlangt als er dem BVerfG selbst zur Darlegung einer Verfassungswidrigkeit schuldete, erscheint sachlich nicht gerechtfertigt.

Aus diesem Grund hat der BFH nun erneut über die Zulassung der Revision zu entscheiden.

 

Fazit und Beraterhinweis

Lediglich der BFH stellt derart hohe Anforderungen an die Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde. In der Rechtsprechung der anderen obersten Bundesgerichte finden sich keine ähnlichen Ansätze. Dem Darlegungserfordernis kommt – trotz der begrüßenswerten Entscheidung des BVerfG – in der Praxis daher weiterhin erhebliche Bedeutung zu. Denn die von der BFH-Rechtsprechung gestellten hohen Anforderungen an die Begründung lassen selbst bei äußerster Sorgfalt den Ausgang der Nichtzulassungsbeschwerde oft als kaum kalkulierbar erscheinen.

Deshalb sollte stets auf die in der Praxis häufig vorkommenden Begründungsfehler geachtet werden:

  • Pauschale Verweisungen auf das erstinstanzliche Vorbringen und die Bezugnahme auf eine Darlegung von Zulässigkeitsgründen in einem anderen, ebenfalls beim BFH anhängigen Verfahren, genügen nicht. Gleiches gilt für formelhafte Wendungen, allgemeine Hinweise und bloße Behauptungen. Sie genügen dem Begründungserfordernis nicht.
  • Unklare und/oder unübersichtliche Ausführungen können unbeachtlich sein und ggf. zur Unzulässigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde führen.
  • Eine Beschwerdebegründung, die sich offenkundig über das Urteil des FG hinwegsetzt, ist nicht ausreichend.
  • Der Einwand gegen die materielle Richtigkeit des angefochtenen Urteils stellt für sich noch keine Darlegung eines Zulassungsgrunds dar. Vielmehr bedarf es der Herausarbeitung des Vorliegens mindestens eines spezifischen Revisionszulassungsgrunds.
  • Das Vorbringen neuer Tatsachen ist unzulässig. Hiervon abzugrenzen ist allerdings die iRd. Verfahrensrüge zu behandelnde Frage, ob das Finanzgericht den Tatsachenvortrag in das Urteil aufgenommen und gewürdigt hat.
Dr. Herbert Olgemöller
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht
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Giuseppe Vitale
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht
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