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Aktuelles BFH-Urteil zur Kapitalertragsteuer bei Berufsverbänden

Ein aktuelles BFH-Urteil vom 11.12.2024 (VIII R 24/23) verdeutlicht, dass Kapitalertragsteuerfestsetzungen bei Verbänden mitsamt den damit zusammenhängenden verfahrensrechtlichen Besonderheiten nicht nur für Berater, sondern auch für die Finanzverwaltung mit Risiken und Nebenwirkungen verbunden sind.

 

Sachverhalt

Im Urteilsfall unterhielt ein steuerbefreiter Berufsverband (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 iVm. § 5 Abs. 1 Nr. 5 KStG) neben seinem ideellen Bereich auch einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb. Dieser erzielte in den Streitjahren 2007 und 2008 Gewinne, die keinen Rücklagen zugeführt wurden. Der Kläger gab bei den Kapitalertragsteueranmeldungen für die Streitjahre (wegen der fehlerhaften Annahme einer Verrechnungsmöglichkeit von Verlusten aus den Vorjahren mit Gewinnen aus den Streitjahren) Kapitalerträge iHv. € 0,-- an. Daraufhin erließ das Finanzamt 2012 einen Haftungsbescheid gegen den Berufsverband wegen nicht abgeführter Kapitalertragsteuer. Nach erfolglosem Einspruchs- und Klageverfahren legte der Kläger hiergegen Revision ein. Während des Revisionsverfahrens im Jahr 2020 hob das Finanzamt den Haftungsbescheid auf und erließ gegenüber dem Berufsverband einen Nachforderungsbescheid über die Kapitalertragsteuer für die Streitjahre. Der hiergegen gerichtete Einspruch blieb erfolglos. Allerdings hatte der Kläger sowohl im Klageverfahren als auch im Revisionsverfahren Erfolg.

 

Kernaussagen des BFH

  • Der BFH stellt in seiner Entscheidung überzeugend fest, dass der Nachforderungsbescheid gegenüber dem steuerbefreiten Berufsverband rechtswidrig ist, da die Kapitalertragsteuer der Streitjahre bei Erlass des Nachforderungsbescheids bereits festsetzungsverjährt war (§§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO).

  • Der Ablauf der Festsetzungsfrist für die Kapitalertragsteuer der Streitjahre war nicht nach § 171 Abs. 15 AO gehemmt:

    • Zwar ist ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb „Dritter“ iSd. § 171 Abs. 15 AO (obwohl der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb selbst kein Steuersubjekt ist und nur die Trägerkörperschaft materiell- und verfahrensrechtlich in Anspruch genommen werden kann!). Denn die Fiktion aus § 44 Abs. 6 Satz 1 EStG ist auch bei der Anwendung von § 171 Abs. 15 AO zu beachten mit der Maßgabe, dass der fiktive Gläubiger der Kapitalerträge (die steuerbefreite Trägerkörperschaft, hier: Berufsverband) zugleich als Steuerschuldner iSd § 171 Abs. 15 AO (Schuldner der Kapitalertragsteuer) und der fiktive Schuldner der Kapitalerträge (der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb) zugleich als Steuerentrichtungspflichtiger iSd Vorschrift gelten.

    • Allerdings ist – so wie es § 171 Abs. 15 AO letztlich aber voraussetzt – gegenüber dem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb als fiktivem Entrichtungsschuldner keine Hemmung der Festsetzungsfrist eingetreten. Das erfolgte Einspruchs- und Klageverfahren gegen den Haftungsbescheid hat die Festsetzungsverjährung gegenüber dem Steuerentrichtungspflichtigen (wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb) nicht gem. § 191 Abs. 3 Satz 1 iVm. § 171 Abs. 3a AO gehemmt. Denn der Haftungsbescheid ging ins Leere, da von Anfang an kein Haftungsanspruch gem. § 44 Abs. 6 Satz 5 EStG vorlag, der hätte verjähren können. Hintergrund: Der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb haftet als fiktiver Schuldner der Kapitalerträge für die nicht einbehaltene und abgeführte Kapitalertragsteuer ausnahmsweise nur dann, soweit sie auf verdeckte Gewinnausschüttungen oder Veräußerungen iSd § 22 Abs. 4 UmwStG entfällt. Soweit die Kapitalertragsteuer jedoch – wie im Streitfall – auf laufende Gewinne eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs (und damit auf fiktive Gewinnausschüttungen an die Trägerkörperschaft) entfällt, scheidet eine Haftung des wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs als fiktiver Schuldner der Kapitalerträge aus.

    • Infolgedessen konnte folgerichtig – so wie es § 171 Abs. 15 AO mit dem intendierten Gleichlauf der Festsetzungsfristen beim Entrichtungs- und beim Steuerschuldner bezweckt – auch nicht die Festsetzungsfrist gegenüber dem klagenden Berufsverband als Schuldner der Kapitalertragsteuer gehemmt sein.

  • Auch eine Hemmung der Festsetzungsfrist für Kapitalertragsteuer nach § 171 Abs. 3a AO aufgrund des Einspruchs- und Klageverfahrens gegen den Haftungsbescheid scheidet aus:

    • Zum einen unterscheiden sich Haftungsbescheid und Nachforderungsbescheid bereits sachgegenständlich.

    • Zum anderen greift die Ablaufhemmung des § 171 Abs. 3a AO auch deshalb nicht durch, weil unter Berücksichtigung der Fiktion des § 44 Abs. 6 Satz 1 EStG auch bei der Anwendung von § 171 Abs. 3a AO davon auszugehen ist, dass der Gläubiger der Kapitalerträge und Schuldner der Kapitalertragsteuer (hier: der steuerbefreite Berufsverband) und der fiktive Entrichtungsschuldner (der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb) personenverschieden sind. Der Hemmungstatbestand des § 171 Abs. 3a AO sieht jedoch eine personenübergreifende Hemmungswirkung nicht vor.

 

Praxisempfehlung

Die Entscheidung des BFH ist deshalb spannend und praxisrelevant, da es die verfahrensrechtlichen Besonderheiten bei der Inanspruchnahme eines steuerbefreiten Trägers eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs (hier: Berufsverband) für nicht einbehaltene und abgeführte Kapitalertragsteuer klarstellt. Dabei werden neben den systematischen Unterschieden zwischen Haftungsbescheid und Nachforderungsbescheid insbesondere wichtige Fragen zur Festsetzungsverjährung und zur Hemmung der Festsetzungsfrist erläutert.

In streitigen Verfahren, an denen insbesondere Berufsverbände beteiligt sind, ist – wie der Urteilsfall verdeutlicht – zwingend die Fiktion des § 44 Abs. 6 Satz 1 EStG im Blick zu behalten. Unterhält eine steuerbefreite Körperschaft (hier: Berufsverband) einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb, dann gilt die Trägerkörperschaft gem. § 44 Abs. 6 Satz 1 EStG als Gläubiger der Kapitalerträge (und damit als Schuldner der Kapitalertragsteuer) und der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb als Schuldner der Kapitalerträge. Die Vorschrift des § 44 Abs. 6 Satz 1 EStG ist jedoch nicht nur im Rahmen des Kapitalertragsteuerabzugs zu beachten, sondern vor allem auch im steuerlichen Verfahrensrecht, dh. insbesondere bei den Verjährungs- und Hemmungstatbeständen (§§ 171 Abs. 15, 171 Abs. 3a AO). Die Fiktion des § 44 Abs. 6 Satz 1 EStG verdrängt dann ausnahmsweise die gegebene Personenidentität und verlangt vom Rechtsanwender den gedanklichen Sprung, fiktiv von einer Personenverschiedenheit auszugehen.

Insofern kann es in solchen Konstellationen (steuerbefreite Trägerkörperschaft mit wirtschaftlichem Geschäftsbetrieb) schnell kopflastig und diffizil werden, da der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb zwar kein eigenes Steuer- und Rechtssubjekt ist und Einspruchs- und Klageverfahren immer von der Trägerkörperschaft selbst im eigenen Namen geführt werden, dieser allerdings im Rahmen der Kapitalertragsteuer und folgerichtig auch im Verfahrensrecht fiktiv als „Dritter“ behandelt wird.

Sofern in der Praxis Kapitalertragsteuer anfällt (da etwa Gewinne des wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs keiner Rücklage zugeführt wurden) und diese nicht ordnungsgemäß einbehalten und abgeführt wird, kann die Trägerkörperschaft selbst nur durch einen Nachforderungsbescheid, nicht aber durch einen Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden. Ergehen unzutreffend Haftungsbescheide (und werden diese in der Folge angegriffen), hemmen diese nicht automatisch die Festsetzungsfrist für Nachforderungsbescheide, so dass diesbezüglich zwischenzeitlich Festsetzungsverjährung eingetreten sein kann. Diese Gemengelage ist im Einzelfall immer sorgfältig auseinanderzuhalten und zu prüfen.

Wichtig ist auch, dass das Urteil sowie die kapitalertragsteuerrechtlichen und verfahrensrechtlichen Besonderheiten nicht nur steuerbefreite Berufsverbände betreffen, sondern unmittelbar auch Auswirkungen auf juristische Personen des öffentlichen Rechts mit ihren nicht steuerbefreiten Betrieben gewerblicher Art entfalten (vgl. §§ 44 Abs. 6 Satz 1, 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7c, 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b) Satz 1 EStG). Ausnahmen gelten jedoch insbesondere für gemeinnützige Körperschaften. So ist der Steuerabzug bei Kapitalerträgen iSd. §§ 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7c, 20 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. b) EStG nicht vorzunehmen, sofern die Trägerkörperschaft als Gläubiger der Kapitalerträge aufgrund von Gemeinnützigkeit nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 Satz 1 KStG steuerbefreit ist.

Dr. Jörg Alvermann
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Fachanwalt für Sportrecht
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Dr. Oliver Cremers
Rechtsanwalt
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